Fever Pitch
uns etwas. Es war nicht unser Akzent – auf den Rängen befleißigte sich keiner einer besonders höflichen Sprache. Es werden wohl unsere Kleider oder unsere Haarschnitte oder unsere sauberen, liebevoll gefalteten Schals gewesen sein. Oder unser leidenschaftliches Studium des Programms vor dem Spiel, das wir fleckenlos in einer unserer Innentaschen oder einem Beutel aufbewahrten.
Wir gingen einige Minuten vor Ende des Spiels gegen Derby, als Arsenal mit 2:0 auf der Siegerstraße war (Kelly und Radford, ein Tor in jeder Hälfte). Ein paar schwarze Jungs (Schwarze Jungs! Verdammte Scheiße!), vielleicht in unserem Alter, aber um Meter größer und von einem anderen Planeten – dem Planeten Wirkliches Leben, dem Planeten Real- und Hauptschule, dem Planeten Verarmte Innenstadt – rempelten uns an, als wir vorbeigingen. Mein Herz stand für ein paar Schläge still, und wir machten uns Richtung Ausgang davon. Sie folgten auf dem Fuß. Wir bewegten uns ein wenig schneller, bestrebt, durch das Gewirr von Gängen und Drehkreuzen zu gelangen, die aus dem Stadion hinausführten. Ich wußte, die Jungs würden uns draußen auf der Straße, mitten zwischen all den Erwachsenen, die vom Stadion wegströmten, nicht belästigen.
Leider schienen sie das nicht zu wissen. Wir begannen, zur U
Bahnstation zu rennen – sie auch. Rat schaffte es, aber mich holten sie ein, schubsten mich an die Stadionmauer, schlugen mir ein paarmal ins Gesicht, stahlen meinen rot-weißen Schal und ließen mich als zerknittertes, traumatisiertes Häuflein auf dem Pflaster zurück. Menschen – Erwachsene mit einem beruhigenden, väterlichen Benehmen – stiegen über mich hinweg oder gingen an mir vorbei, so wie ich an unzähligen Prügeleien außerhalb von Stadien vorbeigegangen bin.
Ich war in der Schule oft schlimmer verprügelt worden (ich war nicht nur klein, sondern auch frech, eine besonders unglückselige Kombination), aber für gewöhnlich von Leuten, die ich kannte, was es irgendwie erträglich machte. Das hier war etwas anders. Es war viel furchterregender: Ich verstand nicht, wo die Grenzen waren – hatte ich Glück oder Pech gehabt? –, und obwohl ich wußte, daß ich von der Mannschaft besessen genug war, um wiederzukommen und an derselben Stelle zu stehen, war die Aussicht, einmal alle vierzehn Tage um zwanzig vor fünf vermöbelt zu werden, düster.
Ich glaube wirklich nicht, daß ich damals ein Klassenbewußt
sein hatte. Ein paar Jahre später, als ich die Politik entdeckte, wäre ich der Ansicht gewesen, daß ich einen Schlag auf die Fresse dafür verdiente, daß ich ein privilegierter weißer Junge aus der Mittelschicht war – tatsächlich hätte ich in meinen späten Teens, als die Hauptquelle meines ideologischen Inputs das erste Clash-Album war, den Schlag vermutlich selbst geführt –, aber damals empfand ich nur ein tiefes Gefühl der Enttäuschung und der Scham. Enttäuschung, weil sich mir schließlich der Verdacht aufgedrängt hatte, daß manche Leute dem Fußball nicht aus den richtigen Gründen beiwohnten (Verehrung für die Kanoniere oder wenigstens der Wunsch nach ein paar glänzenden Spielzügen über die Flügel), Scham, weil ich trotz meiner Jugend und meiner geringen Körpergröße männlichen Geschlechts war, und in männlichen Wesen irgendwas ist, etwas Dummes und Ewiggestriges aber dennoch Machtvolles, das sich ganz einfach weigert, irgendwas zu tolerieren, das als Schwäche ausgelegt werden könnte. (Die obige Version der Ereignisse an diesem Nachmittag ist archetypisch maskulin: es waren zwei gegen einen, ich war winzig, sie waren riesig und so weiter. Es könnte gut sein, daß ich von einem blinden, einarmigen Siebenjährigen angegriffen wurde, doch meine Erinnerung hat mich ordnungsgemäß vor jedem Verdacht bewahrt, daß ich bei der Tracht Prügel womöglich keine gute Figur gemacht haben könnte.)
Vielleicht war am schlimmsten, daß ich die Erfahrung nicht auf meine Mutter abladen konnte. Wenn ich es ihr erzählt hätte, wäre mir für die kommenden Jahre der Besuch von Fußballspielen ohne die Begleitung meines Vaters untersagt worden, also behielt ich es für mich, erzählte, daß ich den Schal – ein Geschenk meiner Großmutter – in der U-Bahn liegengelassen hatte, hörte mir endlose Klagen über meine Sorg- und Verantwortungslosigkeit an und mußte auf meinen üblichen samstäglichen Trip zur Fishand-chips-Bude verzichten. Jede Theorie über urbane Entbehrungen hätte mich an diesem Abend
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