Fey 01: Die Felsenwächter
sich die Hand an der Hose ab. Er sehnte sich danach, dieses Zimmer endlich zu verlassen. Aber es war noch zu früh; erst mußten ihm seine Berater bestätigen, daß die Luft wieder rein war. »Du hättest hier bei mir bleiben sollen«, sagte er.
»Aber Vater, unten wurde doch gekämpft.«
Alexander nickte. »Und gestorben.«
»Mein Platz war dort.«
»Nein«, erwiderte Alexander. Immer noch hallten die Worte des Mädchens in seinem Kopf wider. Unsere Führer kämpfen. »Wir kämpfen nicht. Ich weiß nicht, wie die Fremden das halten, aber unser ganzes System beruht auf dir und mir als Denkern, Führern und Vorbildern. Dein Tod würde die Moral der Blauen Insel untergraben. Und das können wir jetzt nicht gebrauchen.«
Nicholas schnaubte. »Glaubst du nicht, unser Volk würde seine Heimat verteidigen?«
»Wir sind ein Teil ihrer Heimat.« Alexander klopfte mit der Hand auf die Bank neben sich. »Setz dich, Nicky.«
Der Kosename seiner Kindheit. Nicholas blickte auf die Bank, aber er rührte sich nicht.
»Nicholas«, versuchte es Alexander noch einmal. »Du bist müde. Laß dich nicht von deinem Stolz daran hindern, deinem Körper die verdiente Ruhe zu gönnen.«
Nicholas lächelte verständnisvoll und setzte sich neben seinen Vater.
All dieses Blut auf seiner Haut … Der Junge war schlank, aber muskulöser, als Alexander je gewesen war. Die Schwertübungen mit Stephan hatten ihn so gekräftigt.
Alexander seufzte. Er mußte Nicholas mit seinen Worten erreichen, denn wenn er versagte, würde er das einzige verlieren, das ihm etwas bedeutete. »Ich weiß sehr wohl«, sagte er schließlich, »daß du anders sein willst als ich. Ich bin eher ein Gelehrter. Ich unterhalte mich lieber mit Matthias, statt mich im Schwertkampf zu üben, und studiere lieber die Lageberichte über das Königreich, als auszureiten. Aber du hast noch nicht erkannt, Nicky, daß du tatsächlich anders bist. Du bist stärker und klüger als ich, und du hast deine eigenen Interessen. Wenn du deine Ausbildung beendest, könntest du mein Berater werden.«
»Ich weiß nicht, warum Bücher so wichtig sein sollen …«, setzte Nicholas an, aber Alexander hob die Hand und gebot ihm Schweigen.
»Ich brauche dich jetzt, Nicky«, fuhr er fort. »Du mußt begreifen, was es heißt, König zu sein, und mir zur Seite stehen. Wir wissen nur wenig über diese Eindringlinge, und das, was wir wissen, kann falsch sein. Allein dieses Mädchen zu berühren hätte dich umbringen können. Dieselbe Luft zu atmen wie sie …«
»Sie hätte mir nichts getan.«
Diesmal verstummte Alexander. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Auch ihm war die seltsame Schönheit des Mädchens aufgefallen, aber er schätzte sie richtig ein – als Versuchung. Nicholas war noch so jung, daß jede Frau ihn anzog. Alexander wollte es schon aussprechen, aber dann überlegte er es sich anders und schwieg. Er durfte seinen Sohn nicht verärgern.
»Warum sagst du das?« fragte er.
Nicholas wurde rot. Er senkte den Blick und musterte seine Hände. Alexanders Blick folgte dem seinen. Nicholas’ Hände waren zerkratzt und blutig. Der lange Schnitt auf dem Rücken der Linken blutete noch immer.
»Ich sage das, weil sie mich schon hatte«, entgegnete Nicholas.
Alexander packte Nicholas’ rechte Hand und zog sie von der Wunde weg. »Was meinst du mit: Sie ›hatte‹ dich?«
Nicholas starrte auf ihre vereinten Hände, bis Alexander ihn losließ. »Ich kämpfte auf den Stufen an der Küchentür. Ich hatte auf dem obersten Absatz eine Position gefunden, in der ich Rückendeckung und guten Halt hatte, wie Stephan es mir beigebracht hat. Aber ich muß einen Augenblick nicht aufgepaßt haben, denn kurz darauf traf mich ein Stoß, so heftig, daß ich die Stufen hinunterrollte.«
Alexander hätte gern die Augen geschlossen. Er bemühte sich, gleichmäßig zu atmen. Nicholas’ Geschichte war nicht gerade dazu angetan, ihn zu beruhigen. Je mehr er hörte, desto dringender wurde sein Wunsch, seinen Sohn aus den Kampfhandlungen herauszuhalten.
»Ich landete neben diesem Toten …«, Nicholas schauderte, »… und als ich aufblickte, war sie über mir, das Schwert an meiner Kehle.«
Eine unvorsichtige Bewegung hätte an diesem Nachmittag genügt, und sein Sohn wäre jetzt tot.
»Sie hat mich nicht getötet, Papa. Sie hat es nicht einmal versucht. Es war, als ob sie mich kannte.«
Während Nicholas erzählte, bedeckte sich Alexanders Körper mit einer dünnen Schweißschicht. Er
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