Fey 01: Die Felsenwächter
umklammerte seine Knie, um das Zittern seiner Hände zu verbergen. »Wahrscheinlich wußte sie, wer du bist.«
»Nein«, widersprach Nicholas. »Als die Dienerschaft herbeieilte, um mich zu schützen, war sie ganz überrascht.«
Beim Heiligsten! Alexander fühlte, wie ihm der Schweiß über den Rücken rann. Der Junge redete, als schilderte er einen harmlosen Ausritt vor die Tore der Stadt.
»Sie fragte mich sogar, wer ich sei. Ich wollte nicht antworten. Aber dann kannte sie mich, Papa. Und sie hat ihre Leute daran gehindert, mich zu töten.«
»Und dann hast du die Oberhand gewonnen?«
»Ich fand eine Möglichkeit zu entkommen.«
Nicholas mußte die Beunruhigung seines Vaters gespürt haben, denn er hörte auf zu erzählen. Alexander war erleichtert. Nicholas war in Sicherheit. Nur darauf kam es an. Und darauf, daß sein Sohn nie mehr in eine solche Lage geriet.
»Du kannst dir nicht vorstellen, was sie dir hätte antun können«, sagte Alexander langsam. »Sie hätte dich verzaubern können. Vielleicht suchten sie jemanden, um uns auszuspionieren. Vielleicht ist das alles Teil eines Plans.«
Nicholas schüttelte verneinend den Kopf. »Als sie schließlich merkte, daß sie selbst gefangen war, schien sie eher erstaunt darüber zu sein.«
Alexander seufzte. Über dieses Thema würden sie sich wohl niemals einig werden.
»Egal, was du von diesem Mädchen hältst, es ist jetzt an der Zeit, daß du mir zur Seite stehst. Denk nach, mein Sohn! Was wäre geschehen, wenn du zu ihren Füßen gestorben wärst? Wie hätten sich die Diener gefühlt? Hätten sie weitergekämpft?«
Nicholas errötete noch tiefer. Er wußte die Antwort ebensogut wie Alexander.
»Ich weiß, daß du dir schon dein ganzes Leben lang wünschst, auf die Probe gestellt zu werden.« Alexander legte die Hand auf den nackten Rücken des Jungen. Nicholas’ Haut war überraschend feucht und kalt. Trotz des Mutes, den er bewiesen hatte, hatte Nicholas unter großer Anspannung gestanden. »Jetzt hast du deine Prüfung gehabt«, fuhr Alexander mit sanfterer Stimme fort, »und du bist ihr mit so viel Mut entgegengetreten, wie ihn seit deinem Ururgroßvater keiner von uns mehr aufgebracht hat. Noch jahrelang wird unser Volk von deinen Heldentaten sprechen. Genau das haben wir gebraucht. Jetzt wissen die Leute, daß wir bereit sind, alles für die Blaue Insel zu opfern.«
Alexander zog sein eigenes Hemd aus und legte es Nicholas um die Schultern. »Aber wir können nicht alles aufs Spiel setzen, denn sonst verlieren wir das einzige, was uns stark macht. Glaubst du, für mich war es einfach, mich von diesem Mädchen verhöhnen zu lassen? Auch ich hätte mich gern dort draußen am Kampf beteiligt.« Er konnte nicht länger sitzen bleiben und erhob sich. »Selbst durch diese Wände kann ich die Todesschreie der Gefallenen hören. Ich wäre nur zu gern dort draußen, und wenn ich nur ein einziges Leben retten könnte …«
»Genauso ist es, Papa«, entgegnete Nicholas und zog das Hemd enger um sich.
»… aber wenn ich hier in diesem Zimmer bleibe, kann ich mehr als nur ein Leben retten. Ich kann Hunderte von Leben retten. Ich kann die ganze Blaue Insel retten.« Alexander verschränkte die Hände hinter dem Rücken und überlegte, bevor er weitersprach. »Nicky, wir haben Glück, daß wir das Weihwasser haben. Glück, daß wir in der Lage sind, die Fey zu vertreiben. Glück, daß dieses Mädchen solche Angst vor den Daniten hatte, daß sie dir gefolgt ist. Nye hat sich jahrelang gewehrt und eine ganze Generation junger Männer im Kampf gegen die Fey verloren. Und jetzt gehört das ganze Land den Fey. Du hast das Mädchen gehört. Sie hat gesagt: ›Ihr hättet uns nicht alles gegeben‹, und sie hat recht. Das hätten wir nicht getan. Wir sind noch immer ein Volk, ein Königreich. Wir treffen unsere eigenen Entscheidungen. Du hast sie gehört, Nicky. Sie spricht fließend Nye, aber Nye ist eine tote Sprache, seit das Land nur noch ein Teil des Reiches der Fey ist. Wir dagegen sind klein, aber souverän, und ich bin entschlossen, dafür zu sorgen, daß das auch so bleibt.«
Nicholas schlüpfte in die Hemdsärmel. Er ließ fast unmerklich die Schultern hängen, als würde ihm jetzt plötzlich alles zuviel. »Wie willst du das erreichen, Vater?«
Alexander schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Die Fey führen schon Krieg, seit Gott den Roca aufgenommen hat. Wir haben nie gekämpft. Wir haben immer nur Handel getrieben. Es ist, als hätte uns der
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