Fey 01: Die Felsenwächter
sterben, daß du Informationen geliefert hast, die uns alle retten können?«
Tel blickte sich um und kraulte Solanda zerstreut hinter den Ohren. Solanda konnte sich nicht länger beherrschen. Das Kraulen fühlte sich gut an, und sie schmiegte sich an Tel.
»Hör zu«, sagte dieser auf Fey. »Ich habe gehört, daß wir schon sterben können, wenn wir jenen Ort nur betreten.«
»Das ist nicht wahr«, widersprach Solanda. »Ich kenne Fey, die drinnen gewesen sind.«
»Und? Haben sie es überlebt?«
Nein. Sie waren alle gestorben. Sogar die Doppelgänger. »Sie waren nicht vorsichtig genug«, sagte Solanda. Trotz der angenehmen Berührung entzog sie sich seiner Liebkosung. »Wenn du dich weigerst, hole ich eine Rotkappe, um dich auszulöschen und in deine alte Gestalt zurückzuverwandeln. Dann mußt du allein und ungeschützt den Weg ins Schattenland finden.«
Tel wischte sich die Hand am Hosenbein ab und starrte Solanda an. »Das ist nicht fair«, beschwerte er sich in der Inselsprache.
»Ich habe Angst vor diesem Gift. Ich möchte diesen verdammten Ort endlich verlassen. Auch das letzte Schiff hat es nicht geschafft, und ich befürchte langsam, daß Rugar sich endgültig hier niederlassen will. Ich will nicht hierbleiben. Ich will weiterziehen. Nye war nicht gerade das Paradies, aber immer noch besser, als im Schattenland zu leben.«
Tel sah sie unverwandt an. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und endlich erkannte sie den Fey in ihm. Auch er lebte in beständiger Furcht vor dem Gift.
Er holte tief Luft, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und seufzte. »Wieviel Zeit bleibt mir noch, bevor ich gehen muß?« fragte er in der Inselsprache.
»Du sollst sofort aufbrechen«, erwiderte Solanda. »Ich glaube, ich bin nicht die einzige, die ungeduldig darauf wartet.«
Tel schnitt eine Grimasse. Dann hob er den Teller auf und kippte den Rest des Wassers auf den Boden. Beinahe wäre Solanda eine Bemerkung entschlüpft – er hätte sie immerhin fragen können, ob sie noch Durst hatte –, aber dann wurde ihr klar, daß er sie nur ärgern wollte.
»Sobald du im Tabernakel angekommen bist, sollst du Rugar eine Nachricht zukommen lassen. Unten am Lagerhaus nahe beim alten Schattenland erwartet dich morgen um Mitternacht ein Kurier.«
Tel antwortete nicht, obwohl sie ganz sicher war, daß er sie verstanden hatte. Er drehte sich um und ging in den Stall zurück. Solanda kämpfte einen Augenblick mit dem Wunsch, ihm zu folgen. Er war so freundlich gewesen. Sie kannte die Anzeichen. Sie hatte es bereits in Nye zweimal beobachtet: Doppelgänger, die sich verändert hatten; deren Wirte stärker gewesen waren als ihre Fey-Natur. Sie würde Rugar warnen müssen. Nur er konnte entscheiden, ob Tel für den Rest der Fey eine Bedrohung darstellte. Sie hoffte es nicht. Zu viele Fey waren im letzten Jahr umgekommen.
Aber sie hatte jetzt keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Sie mußte noch mit einem weiteren Doppelgänger sprechen, und das wollte sie erledigen, bevor die Edelleute aufwachten.
Jetzt bedauerte sie, daß sie nicht versucht hatte, in die Küche zu schlüpfen. Sie trottete über den Hof, froh, daß sie wenigstens etwas zu trinken ergattert hatte. Als die Sonne auf die nassen Steine und den feuchten Lehm fiel, stieg Dampf vom Boden auf. Solanda wollte sich ihres Auftrags entledigen, sich ein schönes, schattiges, kühles Fleckchen suchen und schlafen.
Sie bog um eine Ecke, trabte an der Küche vorbei und den Torweg entlang, wobei sie den Füßen geschäftiger Diener ausweichen mußte. Die meisten von ihnen beachteten sie gar nicht. Der Lärmpegel im Hof war angestiegen. Hühner gackerten, weil sie gefüttert wurden, Pferde wieherten, und Leute riefen sich einen morgendlichen Gruß zu. Eine zerzauste schwarze Katze, deren eines Ohr nur noch zur Hälfte vorhanden war, fauchte Solanda durch ein Loch in der Mauer an. Der Form halber fauchte sie zurück, dann verdrückte sie sich. Im Hof lebten noch mehr Katzen, und ein Kampf war jetzt wirklich das letzte, was sie gebrauchen konnte.
Schließlich fand sie die gesuchte Tür, hinter der ein Korridor zum Festsaal führte. Sie ließ sich dagegenfallen, weil sie hoffte, die Türflügel würden durch ihr Gewicht aufspringen, aber sie blieben verschlossen. Solandas Blick schweifte über den Hof. Vielleicht würde jemand sie sehen und ihr zu Hilfe kommen. Aber niemand erschien. Schließlich kauerte sie sich so nah wie möglich neben die Tür, die Muskeln zum
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