Fey 01: Die Felsenwächter
und ließ die Augen über seine Berater schweifen. Er hatte das Gefühl, daß sein Blick genauso unruhig war wie Stephans. Er war unsicher, ob er auch den Waffenmeister ansehen sollte oder ob es besser war, ihn zu ignorieren.
Schon bald fühlte er sich in seinem Stuhl beengt. Er wäre lieber wieder durchs Zimmer gewandert. Daß Nicholas wieder zu spät kam, ärgerte ihn. Alexander runzelte unwillkürlich die Stirn. Sein Sohn war der einzige Berater, der auch allein vorgelassen wurde.
Er hatte sich vorgenommen, seinen Sohn als letzten zu prüfen. Seinen Sohn, denjenigen seiner Berater, dem er am meisten vertraute. Seit dem Beginn des Krieges war Nicholas der einzige, mit dem Alexander manchmal allein war. Nicholas konnte Alexander auf andere Weise verraten, aber nicht so.
Nicht so.
Aber Nicholas war in dieses Fey-Mädchen vernarrt. Nicholas hatte sie berührt. Nicholas fand sie »umwerfend«.
Alexander strich mit der Hand über die Armlehne seines Sessels. Seine Finger zitterten noch immer. Die Invasion der Fey war an allem schuld: daß er seinem eigenen Sohn nicht mehr traute; daß sein Volk keine Zukunft mehr hatte. Er hatte diesen Gedanken verdrängen wollen, aber vielleicht mußte er sich ihm schon in ein paar Minuten stellen.
Alexander hatte ständig das Gefühl, daß die Zeit drängte, obwohl es seinem Volk im Moment noch gutging. Trotzdem war dies der Augenblick, vor dem ihn sein Vater immer gewarnt hatte. Der Augenblick, in dem es in ihm mehr Widerwillen als Freude auslöste, König zu sein. Der Augenblick, in dem er seine Menschlichkeit aufgeben mußte, um sein Land zu retten.
»Ihr seid ja ganz verstört«, sagte Stephan und blickte auf Alexanders Hand.
Diesem Mann entging wirklich nichts. Alexander kämpfte gegen den Zorn, der in ihm aufwallte. Er sah Stephan an. Die Augen des Waffenmeisters waren kalt. »Ja«, erwiderte Alexander ruhig. »Das stimmt.«
Es klopfte, und die Wache rief: »Seine Hoheit, Prinz Nicholas.«
Ohne auf Alexanders Einladung zu warten, öffnete sich die Tür, und Nicholas trat ein. Sein Haar war zerwühlt, und er rieb sich den Schlaf aus den Augen. Für die Verspätung entschuldigte er sich nicht.
Er sah aus wie immer. Der Junge, den Alexander großgezogen hatte. Das Kind, das er in den Armen gehalten hatte.
Wenn Nicholas verzaubert war, würde Alexander es merken.
Erst beim Ausatmen fiel ihm auf, daß er unwillkürlich die Luft angehalten hatte. »Es wird Zeit, daß wir anfangen. Setz dich, mein Sohn.«
Nicholas nickte. Alexander wartete stirnrunzelnd. Nicholas riskierte zuviel. Eines Tages würde er dafür einen hohen Preis zahlen müssen. Alexander mußte unbedingt mit ihm reden. Ihn warnen. Immer wieder.
Alexander hielt es nicht mehr auf dem Stuhl. Er erhob sich, ging um den Stuhl herum und warf einen prüfenden Blick auf das Wasser in der Schüssel. Sein Anblick erleichterte ihn. Dann holte er tief Luft. »Wir haben Neuigkeiten von dem Überfall auf das Versteck der Fey heute morgen. Fünf unserer Leute sind noch am Leben. Zwei davon wurden schwer verwundet; drei sind unverletzt. Drei weitere wurden vom Feind gefangengenommen. Theron, der Anführer, ist zurückgekommen, um Hilfe für die Sterbenden und Toten zu holen.«
»Gefangengenommen?« fragte Monte. In seinem Ton schwangen all die Schrecken mit, die keiner von ihnen sich vorzustellen wagte.
»Zusammen mit ihrem Weihwasser«, ergänzte Alexander.
Lord Egan sank in seinem Stuhl zusammen. Schweißperlen traten auf seine Stirn. »Jetzt wissen sie, wie sie uns besiegen können.«
Lord Stowe schüttelte den Kopf. Anders als die anderen hatte er sich bereits seit Stunden mit dieser Nachricht beschäftigen können. Wie Alexander wußte er, daß noch nichts entschieden war. »Keiner von uns kennt das Geheimnis des Weihwassers. Keiner von uns weiß, wie es wirkt. Auch die Gefangennahme unserer Leute wird daran nichts ändern. Die Fey können nicht mit dem Wasser umgehen, denn wenn sie es untersuchen wollen, brauchen sie dazu menschliche Hände.«
»Hat es denn nichts genützt, Wasser in das Versteck zu schütten?« erkundigte sich Stephan.
Alexander blieb hinter seinem Stuhl stehen. Er stützte die Ellbogen auf die Lehne und dachte über die Frage nach. Sie zu stellen war nur vernünftig – schließlich war das der ursprüngliche Plan gewesen. Aber ein Spion würde versuchen herauszufinden, was mit dem Lager seiner Landsleute geschehen war. So oder ähnlich hatte Stephan in den vergangenen Monaten alle seine
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