Fey 01: Die Felsenwächter
seine Alpträume schlimmer.
Vor den Flaschen mit Weihwasser unterbrach Alexander seine Wanderung. Anders als sein Sohn und die übrigen Berater hatte er in diesem Krieg noch niemanden getötet. Das würde sich heute abend ändern.
Obwohl das, was er vorhatte, noch einmal etwas anderes war. Er handelte nicht im Affekt, weil er überraschend angegriffen wurde. Er hatte diese Tat lange geplant, und schon jetzt drehte sich ihm der Magen um. Er wollte nicht darüber nachdenken. Aber er konnte nicht anders.
Zum Wohle des Königreichs. Er holte tief Luft, ergriff eines der Fläschchen und zog den Stöpsel heraus. Das leise ›Plopp‹ ließ ihn zusammenzucken. Er legte den Stöpsel beiseite und unterdrückte den Drang zu niesen, als ihm das leicht staubige Aroma des Wassers in die Nase stieg. Dann packte er das Fläschchen am Hals, trat zur Waschschüssel und goß die Flüssigkeit hinein. Auf diese Weise war das Weihwasser sofort zur Hand. Alexander hoffte sogar, daß er ganz darauf verzichten konnte, daß ihm etwas einfiel, damit sie alle freiwillig ihre Hände in die Schüssel tauchten. Aber er wußte, daß das nicht passieren würde.
Es klopfte, und er fuhr hoch. Hastig verschloß er die leere Flasche und stellte sie an ihren Platz. Sein Herz pochte wie wild. Er war noch nicht bereit für diese Besprechung. Er würde wohl nie bereit sein.
Er hatte die Wachen angewiesen, erst zu klopfen, wenn mindestens zwei seiner Berater eingetroffen waren. Es klopfte abermals.
»’s ist Lord Stowe, Sire, und Lord Fesler.« Die Stimme der Wache wurde durch die dicken Türflügel gedämpft.
»Kommt herein«, sagte Alexander und zupfte sein Hemd zurecht. Seit der Invasion hatte er seine Königsrobe gegen die Hosen und Hemden eingetauscht, die sein Sohn bevorzugte. So war er beweglicher und zwischen seinen Leuten nicht so leicht auszumachen. Niemand hatte ihm dazu geraten, aber er selbst hielt es für vernünftig. Er trat neben den Stuhl am Kopfende des langen Tisches, als hätte er die ganze Zeit dort gestanden.
Lord Fesler trat als erster ein; ein hagerer Mann mit hohlen Wangen, der immer aussah, als schliefe er nie. Vor dem Krieg hatte er nicht zu den Vertrauten des Königs gezählt, aber während des vergangenen Jahres waren seine leisen, sarkastischen Kommentare oft nützlicher gewesen als die Ratschläge der anderen Männer. Fesler war Alexander unsympathisch, aber er hatte lernen müssen, daß Sympathie in Kriegszeiten nicht zählte.
Ihm folgte Lord Stowe, der seine braunen Locken hinter die Ohren gestrichen hatte. Unter seinen Augen zeigten sich dunkle Ringe. Er schloß die Tür hinter sich und nahm seinen angestammten Platz an Alexanders Seite ein.
»Ihr kennt die Neuigkeiten?« fragte Alexander.
Stowe nickte. »Nachdem sie mit Euch gesprochen haben, sind sie gleich zu mir gekommen.«
»Der Überfall?« erkundigte sich Fesler.
Alexander schüttelte nur den Kopf, unfähig zu sprechen.
»Wir werden uns damit befassen, sobald die anderen hier sind«, sagte Stowe. Wieder klopfte es. Alexanders Hände zitterten. Um seine Nervosität zu verbergen, umklammerte er die Stuhllehne, obwohl ihn die harten Kanten schmerzhaft in die Handflächen schnitten.
»Der Hauptmann der Königlichen Wache, Sir Monte, Lord Egan und Sir Stephan von den Schwertern Seiner Majestät.« Diesmal sprach eine andere Wache mit lauterer Stimme.
Als Stephans Name fiel, wurde Alexanders Mund trocken. »Tretet ein«, sagte er wieder und hoffte, daß man seiner Stimme nichts anmerkte.
Die Türflügel schwangen auf, und Stephan betrat als erster den Raum. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos, aber seine Augen schienen jedes winzige Detail in sich aufzunehmen. Er blieb neben einem Stuhl am anderen Ende des Tisches stehen, Alexander genau gegenüber.
Lord Egan folgte ihm. Sein gekrümmter Rücken verbarg seinen Buckel, und sein rundes Gesicht zeigte noch immer Spuren jener Fröhlichkeit, für die er bekannt war. Seit er einen Platz im Rat des Königs eingenommen hatte, waren auch für ihn die Anlässe zum Lachen rar geworden, doch wie die Feslers waren auch seine Ratschläge vernünftig und nützlich.
Monte blieb vor der geöffneten Tür stehen, um den Wachen einige zusätzliche Befehle zu erteilen. Das Kriegszimmer war für die Untergebenen des Königs kein Geheimnis mehr. Die meisten hatten von seiner Existenz gehört, obwohl nur eine Elitetruppe der Leibgarde genau wußte, wo es sich befand.
Alexander rückte seinen Stuhl vom Tisch ab, setzte sich
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