Fey 03: Der Thron der Seherin
dann den nächsten Tag und den darauffolgenden, so lange, bis er Arianna in Sicherheit wußte.
Und die Insel.
All das würde ihm durch reine Willenskraft gelingen.
Die Türen öffneten sich, und Lord Stowe trat ein. Als er sich verneigte, konnte man die kahle Stelle auf seinem Kopf sehen. Seit dem Tod von Nicholas’ Vater war das braune Haar des Ratsherrn ergraut; sein Schopf hatte dabei nicht den hellen Silberton eines würdigen älteren Herrn angenommen, sondern das Grau eines sorgengeplagten Greises. Jetzt blieb er stehen, faltete die Hände vor der Robe und trat an Nicholas’ Seite.
»Enford sagte, Ihr wünschtet, früher als geplant mit dem Treffen zu beginnen.«
»Ich habe dringende Angelegenheiten zu besprechen«, entgegnete Nicholas.
Stowe nickte, als sei dies Grund genug. Inzwischen hatte er alle Spuren seines gestrigen Ritts beseitigt, aber er sah immer noch abgekämpft aus, als hätte er seit seiner Rückkehr nicht viel oder überhaupt nicht geschlafen.
Wieder öffnete sich die Tür. Auf einen Stock gestützt kam Lord Fesler herein. In der letzten Woche hatte ein plötzliches Zittern seiner Hände eingesetzt, und von einem Tag auf den anderen hatte sich sein Gesicht mit feinen Falten wie von einem Spinnengewebe überzogen. Sein Alter, das Nicholas früher nie hatte einschätzen können, zeigte sich auf einmal deutlich. Fesler stammte noch aus der Generation von Nicholas’ Großvater, obwohl die meisten dies fast schon vergessen hatten. Bis zur Ankunft der Fey hatten seine Aufgaben als Ratsherr hauptsächlich aus Routinetätigkeiten bestanden. Die Aufregung der letzten Jahre war fast zuviel für ihn. Und diese Woche hatte ihm besonders zugesetzt.
Gleich nach ihm trat Lord Miller ein, der immer noch Reitkleidung trug und mit seinen schmutzigen Stiefeln dunkle Spuren auf dem polierten Boden hinterließ. Miller war der jüngste Ratsherr und hatte seine Pflichten bis zu Nicholas’ Regentschaft eher auf die leichte Schulter genommen. Auch jetzt machte es noch den Eindruck, als interessiere sich Miller mehr für die vergnüglichen Seiten, die sein Amt mit sich brachte, als für seine eigentlichen Aufgaben.
Er verneigte sich vor Nicholas, und Fesler tat es ihm nach, steif, und ohne den Rücken dabei zu krümmen, als schmerze ihn die Bewegung.
»Vergebt mir, Sire«, sagte Miller. »Enford ließ mich wissen, daß Ihr das Treffen sofort abhalten wolltet. Ich hatte eigentlich vor, mich umzuziehen.«
»Formalitäten sind mir gleichgültig«, erwiderte Nicholas. Zumindest im Moment. Das letzte, woran er jetzt dachte, war die Einhaltung des Protokolls.
Miller blickte rasch in die Runde und trat dann neben Lord Stowe, als er keine Stühle entdeckte. Stowe sah besorgt zu Fesler hinüber.
»Sire«, sagte Stowe. »Könnten wir einen Stuhl für Lord Fesler holen? Seine Gelenke sind geschwollen und schmerzen schon seit Tagen.«
»Aber selbstverständlich«, sagte Nicholas. »Im Hinterzimmer sind Stühle. Nehmt einen davon.«
Er legte dabei besondere Betonung auf das Wort ›einen‹. Es war nicht in seinem Sinne, daß die Ratsherren es sich während der Zusammenkunft bequem machten. Er wollte, daß sie den jungen Nicholas, den sie einst geneckt hatten, ebenso vergaßen wie Nicholas, den tragischen König, dessen Frau während seiner Krönungszeremonie ermordet worden war. Sie sollten ihn als König ansehen. Einen König, bei dessen Anblick sie vergaßen, daß jemals andere Herrscher vor ihm existiert hatten.
Als er sich jetzt auf seinen Großvater konzentrierte, erinnerte er sich an dessen Worte. Sobald du König bist, wirst du allein die Verantwortung tragen. Sobald du das vergißt, wirst du alles verlieren, was du gewonnen hast. Du wirst der Blauen Insel mehr schaden als nützen.
Nicholas wußte nicht, ob sein Vater diese Worte während seiner Amtszeit beherzigt hatte. Er bezweifelte es. Aber sicher war er nicht. Seit der Ankunft der Fey hatte sich sein Vater sehr verändert. Er hatte zuerst verwirrt auf die Invasion reagiert und es zugelassen, daß Nicholas Jewel gegen seinen Willen heiratete, aber Nicholas wußte nicht mehr genau, ob das ein Fehler gewesen war. Wäre die Heirat ein Mißerfolg geworden, hätte man es Nicholas’ Jugend angelastet, nicht der mangelnden Entschlußkraft des Königs.
Stowe verschwand im Hinterzimmer. Dort wechselte er einige Worte mit den Wachen, bis er gemeinsam mit einem Soldaten wieder im Saal erschien. Die Wache trug einen Stuhl und setzte ihn neben den Stufen ab.
Weitere Kostenlose Bücher