Fey 03: Der Thron der Seherin
breiten Schultern noch breiter erscheinen. Seit er verheiratet war, kleidete er sich anders. Anstelle der offenen Hemden trug er jetzt die knappen Westen der Fey, dazu eine enge braune Hose, die in den Stiefeln verschwand, und Charissa mußte sich zwingen, den Blick von der sanften Wölbung zwischen seinen Beinen abzuwenden. Sein Gesicht war schmal geworden. Offensichtlich aß er zu wenig. Und unter seinen Augen lagen tiefe Schatten. Das lange blonde Haar fiel offen auf seine Schultern herab. Es hätte ihn eigentlich sanfter erscheinen lassen müssen, aber er wirkte damit nur noch beeindruckender.
Der Haushofmeister trat rasch an Prinz Nicholas’ Seite und verbeugte sich tief. Auch die anderen verneigten sich und richteten sich gleichzeitig mit dem Meister wieder auf. Charissa war zu erschrocken, um es ihnen nachzutun. Der Prinz … der König … hatte sie bemerkt und lächelte ihr zu.
Sie lächelte zurück.
Der Meister warf ihr einen mißtrauischen Blick zu und schob sich zwischen sie und den König. Nicholas.
»Seid uns willkommen, Herr.«
Nicholas nickte. »Ich wollte nachsehen, wie weit die Vorbereitungen gediehen sind.«
Die geschwungenen Türflügel standen weit offen. Alle hatten die Arbeit unterbrochen.
»Ich will Euch nich’ anlügen, Herr, aber ’s waren ’n paar harte Tage.«
»Bestimmt«, sagte Nicholas freundlich.
»Aber wenn Ihr’s so haben wollt, machen wir’s.«
Die anderen hatten sich aus Angst vor dem neuen König inzwischen davongeschlichen. Der alte König war sehr ungehalten gewesen, wenn die Arbeit nicht gut voranging. Alle erwarteten, daß sich der neue genauso verhielt. Charissa hatte versucht, sie vom Gegenteil zu überzeugen, aber niemand hatte auf sie gehört. Sie sei ja nur für den Westflügel zuständig und habe zu wenig Kontakt mit der königlichen Familie, sagten sie.
»Gut«, nickte Nicholas, aber er klang, als wäre es ihm nicht wirklich wichtig. Seine ganze Gestalt war vornübergebeugt, als habe er Schwierigkeiten, sich aufrecht zu halten. Die Fey-Frau sollte sich besser um ihn kümmern, aber von Fürsorge hatten diese Fey eben keine Ahnung.
»Wir sind am Polieren und Arbeiten, seit wir den Befehl gekriegt ham, Sire«, erklärte der Meister. »Ihr würdet nich’ glauben, wie’s hier ausgesehn hat, mit all dem …«
»Ich bin sicher, Eure Hoheit wissen nich’, wieviel Staub sich so in der Dunkelheit ansammelt«, unterbrach ihn Charissa. Der Meister warf ihr einen empörten Blick zu, aber Nicholas lächelte bloß.
»Charissa«, sagte er.
Charissa trat ein paar Schritte vor und knickste, so gut sie konnte. »’s is’ schön, Euch zu sehn, Herr.«
»Dich ebenfalls«, erwiderte Nicholas.
Charissa hielt den Kopf noch immer gesenkt, den Blick auf die Stiefel des Königs gerichtet. Diese machten einen Bogen um die geckenhaften Schuhe des Meisters und blieben direkt vor Charissa stehen. Der Griff des neuen Königs um ihr Kinn war sanft. Er hob langsam den Kopf, bis sie ihm in die Augen sehen konnte.
Es war Jahre her, seit sie ihm so nahe gewesen war. Er roch nach Leder und den getrockneten Blüten, die der Hausmeister in die Schränke zu streuen pflegte. Seine Züge waren von Kummer gezeichnet. Um seine Augen hatten sich feine Linien eingegraben, die Charissa noch nie an ihm gesehen hatte.
»Ihr seht müd’ aus«, sagte sie.
Sein Daumen folgte der Linie ihres Unterkiefers, dann ließ er die Hand sinken. »Manchmal glaube ich, daß ich nie wieder schlafen werde, Charissa.«
Diese Fey-Frau. Niemand konnte neben einer so knochigen und gefährlichen Person ruhig schlafen. »Ich … wir … warn alle traurig wegen Eurem Herrn Papa.«
»Mein Herr Papa.« Nicholas’ Lächeln wurde weich. Hinter ihm schüttelte der Meister wild den Kopf. Charissa entschied sich, ihn gar nicht zu beachten. »Ja. Auch mir tut es leid um meinen Herrn Papa.«
»Aber das morgen, das is’ wichtig für Euch.«
Nicholas strich ihr eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Niemand sagt einem, daß wichtige Tage oft traurige Anlässe haben.«
»Charissa«, befahl jetzt der Meister. »Du mußt sofort in die Küche gehn.«
»Laß sie in Ruhe«, sagte Nicholas, ohne sich umzudrehen. »Ich sorge dafür, daß sie zurückkommt, wenn es ihr befohlen wird.«
Natürlich würde er das nicht tun, aber das spielte keine Rolle. Er war jetzt der König. Niemand hatte das Recht, ihn anzuschreien.
Der Meister stemmte die Hände in die Seiten. Er sah trotzdem aus, als würde er gleich wieder brüllen.
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