Fey 04: Die Nebelfestung
dornige Ranken an seinem Gewand. Der Kratzer an seinem Arm juckte unangenehm, und überall dort, wo seine Haut ungeschützt aus der Kleidung hervorschaute, war sie fürchterlich zerstochen.
Von dem entwichenen Jungen hatten sie keine Spur gefunden.
Rotin war noch immer draußen im Wald und führte den Suchtrupp an. Sie hatte nicht darauf hören wollen, als Streifer mutmaßte, der Junge und der Inselbewohner hätten einen anderen Weg als die offene Straße eingeschlagen. Sie meinte, der Junge habe die Schattenlande noch nie verlassen, weshalb ihn die Reizüberflutung vor allem und jedem zurückschrecken lasse. Wenn der Inselbewohner kein Wunder vollbrachte, würde er den Jungen nicht dazu bringen können, auf etwas anderem als ebenem Boden zu gehen.
Sie mußte sich getäuscht haben.
Das hatte ihr Streifer zu erklären versucht und war zum Dank ins Schattenland zurückgeschickt worden. Er sollte Rugar aufsuchen und ihm mitteilen, daß sein neuer Zaubermeister entlaufen sei.
Auf dem Versammlungsblock saß niemand. Die Schattenlande sahen wie ausgestorben aus, was sie gewissermaßen auch waren. Burden hatte einen kleinen Trupp mit zum Tabernakel genommen, und der Rest der Infanterie suchte mit Rotin nach dem Jungen. Nach seiner Unterredung mit Rugar wollte sich Streifer einen oder zwei Tierreiter schnappen und sich ebenfalls wieder auf die Suche machen.
Er trabte durch das graue Nichts. An diesem Morgen machten die Wetterkobolde keine Experimente, weshalb die Schattenlande noch eigenartiger als sonst aussahen. Das Grau wirkte seltsam stumpf, der Boden, die Seitenwände und das Dach zeichneten sich durch scharfe Kanten und einen Schimmer ab, der normalerweise nicht zu sehen war. Streifer waren die Tage lieber, an denen die Kobolde versuchten, Sonnenschein oder Regen zu produzieren. Beides hatte stets einen dichten Nebel zur Folge, was der Umgebung wenigstens ein annähernd natürliches Aussehen verlieh.
Aus dem Schornstein von Rugars Hütte kräuselte Qualm hervor. Streifer hielt vor der Treppe an. Er wußte nicht, welchen Ausgang die Unterredung für ihn nehmen würde. Rugar hatte ihm die Aufsicht über den Jungen anvertraut. Vielleicht hatte ihn Rotin deshalb zurückgeschickt. Damit er die Verantwortung für seine Handlungen selbst übernahm.
Wahrscheinlich wollte sie ihn wohl eher los sein, damit er nicht weiter ihre Anordnungen anzweifelte.
Langsam ging er die Stufen hinauf. Rugar hatte ihn zwar nicht direkt angewiesen, aber es war deutlich geworden, was er damit gemeint hatte. Rugar hielt Rotin für unfähig und hatte Streifer gedrängt, gegen sie vorzugehen. Was Streifer nicht getan hatte.
Jetzt befolgte er ihre Befehle, nachdem ihre Handlungen dazu geführt hatten, daß der Junge entfliehen konnte.
Dabei war er sich nicht einmal sicher, ob er anders gehandelt hätte. Er hätte nicht die Haut benutzt, um die Blase zu finden, aber das waren persönliche Vorlieben. Er verabscheute es, mit Teilen von Toten zu hantieren. Er zog es vor, sich auf die eigenen Geisteskräfte zu verlassen.
Er wußte, wie Zaubermeister arbeiteten.
Rotin nicht.
Streifer atmete tief durch und klopfte an die Tür. Von drinnen ertönte ein Fluch, dann ging die Tür auf.
»Ich sagte doch, es ist mir egal, ob …« Als er Streifer erblickte, hielt Rugar inne. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich dachte, es handelte sich um jemand anders.«
»Offensichtlich«, antwortete Streifer. Er wußte sogar, wen Rugar erwartet hatte. Jeder wußte, daß Rugar sich geweigert hatte, an Burdens Kommandounternehmen teilzunehmen, weil er es für eine Selbstmordaktion hielt. Streifer hatte sich noch darüber gewundert, daß Burden bereit war, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um Jewel zu rächen, Jewels Vater hingegen nicht. »Darf ich reinkommen?«
Rugar trat zur Seite.
Streifer trat ein. Es war viel zu heiß in der kleinen Hütte. Auf dem Tisch standen die Überreste einer Mahlzeit, überall roch es nach altem Bettzeug. Rugar trauerte auf seine eigene Art. Es schien fast so, als habe er mit Jewels Tod auch seinen Kampfesmut verloren.
»Wie geht es meinem Zaubermeister?« erkundigte sich Rugar, wartete jedoch nicht auf Streifers Antwort. Er nahm die Teller vom Tisch und stellte sie in den Behälter, den die Domestiken später abholen würden. »Ich habe über ihn nachgedacht. Vielleicht haben wir uns hinsichtlich seines mangelnden Fey-Blutes getäuscht. Er war sehr jung, als ihn Solanda fand …«
»Wir haben uns nicht getäuscht«, fiel ihm Streifer
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