Fey 04: Die Nebelfestung
hinter dem Gebäck hervor.
Er hatte sich noch nie richtig mit einer Rotkappe unterhalten. Wie die Fey, so hatte auch er sie stets gemieden, wenn auch aus einem anderen Grund. Er war ihnen aus dem Weg gegangen, weil er sich in gewisser Hinsicht vor ihnen fürchtete. Sie badeten nie und arbeiteten an Leichen, wirkten selbst immer ein bißchen wie tot. Die Fey schnitten sie, weil sie nicht über Zauberkräfte verfügten, und sahen sie nicht als ebenbürtige Fey an.
Fledderer jedoch war eine Rotkappe, die sich aufgelehnt hatte, die getötet hatte, weil sie nicht sterben wollte, und sich selbst ein neues Leben, weit weg vom Tod und Gestank geschaffen hatte. Er hatte Fertigkeiten erworben, die die meisten Fey als unter ihrer Würde betrachteten, hatte es sich selbst so gemütlich wie möglich gemacht.
»Lebst du allein hier?« erkundigte sich Adrian.
Fledderer hatte noch zwei kleine Kuchen auf seinem Teller. Einen davon angelte er sich und sah ihn nachdenklich an. »Wer würde schon hier mit mir leben wollen?« fragte er. »Du bist der erste Inselbewohner, den ich sehe, seit ich von Jahn weg bin, und die Fey … na ja, die kennst du ja selbst zur Genüge.«
Adrian kannte sie. Er kannte sie nur zu gut.
»Ich hoffe, dir ist klar, daß du ein ziemliches Problem am Hals hast«, sagte Fledderer. »Sie suchen dich überall. Sie mögen es nicht, wenn ihre Gefangenen entwischen.«
»Haben sie dich denn nicht gesucht?«
Fledderer zuckte die Achseln. »Vielleicht ein bißchen. Aber ich war nicht wichtig. Es hätte sehr lange gedauert, überhaupt herauszufinden, welche Rotkappe Caseo getötet hat, und dann hätten sie Suchtrupps losschicken müssen. Bis dahin hatte ich bereits ein gutes Versteck – und einen Plan. Du scheinst keinen Plan zu haben.«
»Und sie wissen, wer wir sind.«
Fledderer biß herzhaft in den Kuchen. »Inselbewohner im Schattenland lassen sich nur mit viel gutem Willen übersehen.«
Adrian lächelte. Der Mann hatte einen schrägen Sinn für Humor. Das gefiel ihm.
Er aß sein Stück Kuchen auf. Es schmeckte herrlich. Leicht und locker und warm. Sogar das Essen schmeckte hier draußen besser, als zöge das Grau der Schattenlande alles in Mitleidenschaft.
»Adrian?«
Coulter rief nach ihm.
»Ich bin hier drin«, antwortete Adrian.
»Adrian!« Coulters Stimme wurde lauter, ängstlicher. Er wachte auf.
»Geh lieber zu ihm«, meinte Fledderer. »Er hat einen ziemlich schlimmen Kater.«
Adrian wartete nicht auf die genauere Definition dieses Ausdrucks, konnte sich aber ungefähr denken, was er bedeutete. Er erhob sich von dem grob bearbeiteten Tisch und ging durch die Tür.
Coulter war zu einer kleinen Kugel zusammengekauert, hielt das Kopfkissen ans Gesicht gepreßt und den Körper so weit wie möglich vom Licht entfernt. Adrian setzte sich auf den Rand der Matratze und hielt eine Hand über den Jungen, berührte ihn jedoch nicht.
»Coulter?« sagte er. »Ich bin’s.«
Coulter rührte sich nicht. Adrian legte die Hand auf Coulters Schulter. Der Junge zuckte zusammen. Dann zog ihn Adrian an sich. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er.
Coulter schüttelte den Kopf und duckte sich klein und ängstlich an Adrians Brust. Adrian legte eine Hand unter Coulters Kinn und hob den Kopf des Jungen an. »Coulter«, sagte er. »So sieht die Welt aus. Du hast in einer künstlich geschaffenen Umgebung gelebt. In einer Fälschung. So wie ein Haus, das nur aus seiner Fassade besteht.«
Coulters Augen waren weit aufgerissen. Er sagte nichts. Adrian streckte die Hand aus und hielt sie ins Sonnenlicht. Coulter wich erschrocken zurück.
»Das Licht kommt vom Himmel, und manchmal kommt von dort auch Wasser«, sagte Adrian. »Außerdem gibt es Dunkelheit, so wie gestern nacht. So unterscheiden wir einen Tag vom anderen – nicht, weil uns die Domestiken einem bestimmten Rhythmus unterwerfen. Sie imitieren damit lediglich den Ablauf der Welt draußen. Dieser Welt hier.«
»Die Geräusche«, flüsterte Coulter. »Ich habe noch nie so viele Geräusche gehört.«
Die zwitschernden Vögel, das Rauschen des Flusses, der Wind in den Bäumen. Selbst nach seinen Jahren im Schattenland konnte Adrian diese Geräusch erkennen und zuordnen. Coulter nicht.
Wahrscheinlich waren die Gerüche besonders erschreckend. Im Schattenland herrschte ein bestimmter Geruch vor, der von Rauch und sich langsam bewegender Luft. Man roch nicht einmal Küchendüfte, weil die Domestiken meistens unter Zuhilfenahme von Magie kochten. Die Soldaten
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