Fey 06: Die Erben der Macht
Königs zu treffen. Er öffnete den Mund …
… und die Welt geriet aus dem Gleichgewicht. Eine Vision. Noch während er in sie eintauchte, verfluchte er sie …
… wieder befand er sich in dem Zimmer des Palastes und sprach mit einem alten Fey. Der Fey glich ihm selbst, aber sein Gesicht war viel härter und noch versteinerter als das Sebastians. Er griff nach Gabe, aber Gabe wich zurück. Der alte Fey blickte plötzlich verängstigt auf, und Gabe spürte einen scharfen Schmerz in seinem Rücken. Er versuchte, danach zu greifen, spürte Blut, spürte, wie es um ihn schwarz wurde …
… und schwebte über allem, während Sebastian an seiner Stelle zersprang. Eine Fey-Wache, die gegenüberstand, trat mit einem Speer in der Hand vor. Der Messerwerfer versuchte aus dem Zimmer zu flüchten, aber Gabe setzte ihm nach, sprang über die Trümmer seines Herzensbruders, der alte Fey rief etwas …
Die Bilderfolge wurde immer schneller.
… Gabe lag auf dem Rücken, ein glänzendes, silberweißes Schwert an seiner Kehle. Der Inselbewohner, den er auf der Brücke getroffen hatte, preßte es gegen seinen Hals. Weiter hinten rief sein Vater, sein richtiger Vater …
… dann war er im Wasser, trat verzweifelt um sich, während ihn etwas nach unten zog. Wasser strömte in seinen Mund. Es schmeckte salzig. Der alte Fey saß in einem Boot über ihm, reckte sich, um ihm zu helfen, aber wenn er die Hand des alten Mannes ergriff, würde er ihn mit sich in die Tiefe ziehen. Das wollte er nicht. Er …
… sah, wie Coulter ein Fey-Mädchen küßte, riß ihn zurück und setzte ihm ein Messer an die Kehle. Er …
… stand neben Coulter am Cardidas. Sie befanden sich auf dem Weg zum Tabernakel. Es sah aus wie niedergebrannt …
… sein wirklicher Vater …
… Sebastian, in tausend Stücke zersprungen …
… der alte Fey …
… Sebastian, in tausend Stücke zersprungen …
… das Fey-Mädchen schlug sich mit den Fäusten gegen die Brust, Tränen liefen ihr über die Wangen …
… Sebastian …
Gabe lag auf dem Boden. Aus seinem linken Mundwinkel lief Speichel, Mund und Zunge waren voller Erde. Leen kauerte neben ihm und legte ihm eine Hand auf die Hüfte. Die Sonne schien noch heißer zu brennen, und er war schweißüberströmt.
»Geht’s dir besser?« fragte Leen.
Er konnte nicht sofort antworten. Die Bilder waren zu eindringlich gewesen. Sie wirbelten noch immer durch seinen Kopf. So eine Vision hatte er noch nie gehabt – eine ganze Serie von Visionen, und keine davon ergab einen Sinn.
Außer der einen Vision, die er bereits einmal Gesehen hatte, diejenige, die ihn überhaupt in den Palast zu Sebastian geführt hatte.
Das Fey-Mädchen, das Coulter küßte, war Gabes Schwester, die Hexe, die ihn nicht in Sebastians Nähe duldete. In einer der Visionen war sie in Tränen ausgebrochen, obwohl sich Gabe nicht vorstellen konnte, daß sie häufig weinte.
»Gabe«, sagte Leen mit zitternder Stimme. »Du machst mir angst.«
»Entschuldige.« Er lispelte beim Sprechen. Energisch setzte er sich auf und wischte mit dem Ärmel über das Gesicht. Dann spie er die trockenen Erdkrumen aus. Sein Mund war wie ausgedörrt.
»Wasser?«
»Wir haben nicht mehr viel«, sagte Leen, als sie ihm den Wasserschlauch reichte. Gabe trank vorsichtig. Das Wasser war warm und löste die restliche Erde. Er konnte noch nicht schlucken, also spuckte er das Wasser aus und murmelte eine Entschuldigung.
Leen reichte ihm den Beutel noch einmal. Diesmal gelang es ihm, das Wasser zu schlucken. Es belebte ihn ein wenig.
»Was ist passiert?« fragte sie.
»Vision«, erwiderte er kurz angebunden. Solange er nicht wußte, was all diese Bilder zu bedeuten hatten, wollte er nichts erzählen.
»So hast du dich noch nie während einer Vision benommen.«
In seinem verwirrten Zustand konnte er sich nicht erinnern, wann Leen schon einmal während einer Vision bei ihm gewesen war. Aber das war vermutlich auch nicht wichtig. Er holte tief Luft. Er war wie benebelt.
»Wie lange hat es gedauert?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Leen. »Mir kam es wie eine Ewigkeit vor.«
Das Gefühl hatte Gabe auch. Und zugleich war es nur ein Augenblick gewesen, ein einziger Moment.
Wäre doch die Schamanin noch am Leben. Mit ihr hätte er über alles reden können.
Aber sie lebte nicht mehr. Sie war zusammen mit den anderen im Schattenland gestorben. Leen besaß nicht die Fähigkeit, Visionen auszulegen. Und Gabe wußte nicht einmal, ob er selbst es
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