Fey 08: Im Zeichen der Schwerter
Oder war er mehr als das?
»Was spielt das alles für eine Rolle?« fragte Gabe.
Coulter war wieder näher getreten, als wolle er Gabe beschützen. Gabe wich ihm aus. Er brauchte Coulter nicht. Seit jener Nacht, in der Coulter seine Verbindungen geschlossen hatte, wollte er sich nicht mehr von ihm beschützen lassen.
»Es spielt eine Rolle, weil er dir helfen kann, deine Schwester zu retten«, erklärte seine Mutter.
»Ach ja?« spottete Gabe.
»Zusammen mit dir und deinem Vater. Wenn du ihn läßt.«
»Und wenn nicht?«
»Dann ist deine Schwester für immer verloren.« Seine Mutter rang die Hände wie in großer Angst.
»Warum unternimmst du nicht selbst etwas?« fragte Gabe.
»Ich kann nicht«, murmelte seine Mutter.
»Weil …?«
»Weil ich dich gewählt habe.« Sie faltete die Hände jetzt so fest, daß ihre Knöchel weiß leuchteten. »Ich dachte, du brauchst mich mehr als sie.«
Gabe spürte eine seltsame Befriedigung. Seine Mutter hatte ihn seiner Schwester vorgezogen. Das hatte noch nie jemand getan. Immer war seine Schwester die Beliebtere gewesen, selbst in den Augen der Schamanin. Alle hatten sich immer nur um sie gekümmert und sie verhätschelt. Er dagegen war von beiden Eltern verlassen und vernachlässigt worden, und es war ihnen egal gewesen. Sie hatten ja noch nicht einmal gemerkt, daß man ihn gegen Sebastian ausgetauscht hatte.
»Bitte«, flehte seine Mutter. »Sie kann jeden Augenblick hier sein. Hilf ihr.«
Endlich brauchten sie ihn. Endlich war er einmal wichtiger als seine Schwester, die ihre Kindheit in jenem Palast hatte verbringen dürfen, in dem auch Gabe geboren war. So rätselhaft die Worte seiner Mutter auch waren, sie besänftigten einen Schmerz in Gabes Herzen, von dessen Existenz er bis eben nichts geahnt hatte.
»Also gut«, gab er nach. »Sag mir, was ich tun soll.«
25
Als Seger ins Audienzzimmer zurückkehrte, stand Rugad noch immer über die Karten der Blauen Insel gebeugt. Sie näherte sich ihm in unterwürfiger Haltung und mit gesenktem Kopf. Sie war schon sehr lange seine persönliche Heilerin und zu klug, um ihn ob seiner Entscheidungen zu tadeln, aber Rugad spürte ihre Mißbilligung trotzdem.
Sie war länger als nötig bei Weißhaar geblieben. Rugad würde einen seiner Assistenten beauftragen, herauszufinden, was sie so lange gemacht hatte. Er hoffte, daß sie lediglich die Blutung gestillt und Weißhaar etwas Kraft eingeflößt hatte, damit er den Palast überhaupt verlassen konnte, damit er den Schock überlebte, den sein Körper und sein Geist erlitten hatten.
Rugad hatte keine Lust, sich gleichzeitig an eine neue Heilerin und eine neue Adjutantin zu gewöhnen. Aber wenn es nicht anders ging, würde er auch Seger entlassen. Manchmal bedingte ein Ortswechsel auch einen Wechsel des Personals. Rugad wußte das, aber der Gedanke hatte ihm noch nie gefallen.
»Darf ich mich jetzt um dich kümmern?« fragte Seger.
Rugad nickte. Sie setzte sich ihm gegenüber und betastete seine frischen Wunden. Von der Explosion des Golems hatte Rugad Schnittwunden und Kratzer davongetragen, dazu einige Schrammen von seinem Sturz über den Stuhl und eine äußerst schmerzhafte Prellung der rechten Seite des Brustkorbes.
Seger untersuchte die Schnittwunden und entfernte dabei kleine Steinsplitter, Splitter des Golems. Sie häufte sie auf dem Tisch zu einem kleinen Berg auf. Die Splitter hatten alle ungefähr dieselbe Größe: so groß wie ein Fingernagel und genau so dünn. Rugad wunderte sich, daß er ihr Eindringen nicht gespürt hatte.
Seger half ihm, das Hemd abzustreifen, und behandelte die Schrammen auf seinem Rücken. Über seinem Brustkorb hielt sie inne.
»Du hast dir zwei Rippen gebrochen«, stellte sie fest. »Du solltest dich ins Bett legen.«
»Für so etwas habe ich keine Zeit«, knurrte Rugad.
Seger nickte kurz.
»Ich kann dich nicht für alle Ewigkeit mit Zaubersprüchen behandeln. Irgendwann mußt du dich auch auf die eigenen Heilkräfte deines Körpers verlassen.«
»Sobald ich die ganze Insel unter Kontrolle habe«, versprach Rugad.
Seger erwiderte nichts, aber Rugad spürte wieder ihr Mißfallen.
»Du kannst ebensogut aussprechen, was du denkst«, sagte er mürrisch. »Wenn es etwas mit Weißhaar zu tun hat …«
»Vorfälle wie den mit Weißhaar zu akzeptieren, habe ich im Lauf der Jahre gelernt«, erwiderte Seger und verlieh auf diese Weise ihrer Mißbilligung Ausdruck, ohne Rugad offen zu kritisieren. »Solche Dinge mußt du tun,
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