Fey 09: Die roten Klippen
König seltsam. So viel war geschehen, seit der Schwarze König in ihren Geist eingedrungen war. Arianna hatte den Berghang verlassen, war in dieser Höhle erwacht und hatte feststellen müssen, daß die Schamanin tot war.
Sie litt deshalb unter heftigen Schuldgefühlen. Sie verstand nicht, warum die Schamanin gestorben war. Ihr Vater, der versprochen hatte, ihr alles später zu erklären, schwieg noch immer, und Arianna vermutete, daß es mit ihr selbst zu tun hatte. Die Schamanin hatte Arianna retten wollen, aber nicht sie war die eigentliche Retterin gewesen.
Coulter hatte sie gerettet.
Arianna warf einen Blick zu ihm hinüber. Auch er hatte sich aufgesetzt. Mit seinem struppigen Blondschopf und den schläfrigen Augen sah er aus wie ein typischer Inselbewohner. Noch nie war Arianna einem so gutaussehenden Mann begegnet. Über seinem eigentlichen Gesicht lag jenes Bild, das er mit ihr geteilt hatte, als er über Nicholas’ Verbindung in Ariannas Gedanken eingedrungen war, um sie zu retten.
In diesem Augenblick war ihr Coulter wie die gelungene Kreuzung zwischen einem Inselbewohner und einem Fey erschienen. Seine Haut war hell, die Augen blau und das Haar blond, aber die Ohren liefen spitz zu, und die Wangenknochen lagen besonders hoch. Außerdem war er der größte Mensch gewesen, den sie je erblickt hatte. Hier, in der Wirklichkeit, war Coulter kleiner als Arianna.
Nur Arianna, Coulter und Gabe waren aufgewacht. Leen, eine Fey, von der Gabe behauptete, sie sei noch nicht im Besitz ihrer Zauberkräfte, schlief am Fuß der Treppe. Das letzte Mitglied der Gruppe, Fledderer, eine Rotkappe und ein Fey ohne jede magische Fähigkeit, schlief so tief, daß er schnarchte.
Dennoch hatte sich etwas Wichtiges verändert.
Ein Schauer überlief Arianna. Obwohl ihr Vater versichert hatte, hier sei sie in Sicherheit, war sie sich dessen nicht sicher. Die Schamanin hatte kurz vor ihrem Tod behauptet, dies sei ein Ort der Macht, den Gabe entdeckt habe. Der Ort hatte sich als mit den Kultgegenständen der Inselreligion angefüllte Höhle entpuppt: Fläschchen mit Weihwasser, das auf die Fey und wahrscheinlich auch auf Arianna selbst wie Gift wirkte; Kelche, die Arianna zu berühren vermied, auch wenn sie laut Adrian leer waren; Schwerter, die so scharf waren, daß Adrian sich beinahe geschnitten hätte; Wandteppiche, die den Zugang zu Gängen bedeckten, die tiefer in das Höhleninnere führten. Ariannas Vater hatte versprochen, daß sie die Gänge auskundschaften würden, aber erst, wenn Arianna wieder bei Kräften war.
Die schwere Prüfung am Berghang hatte offenbar ihre restliche Energie verbraucht. Noch nie zuvor war Arianna so erschöpft gewesen.
Ihr Urgroßvater, der Schwarze König, war über Sebastians Verbindung in Ariannas Geist eingedrungen. Sebastian war ihm gefolgt und hatte den Schwarzen König vertrieben. Solange der Schwarze König in ihr gewesen war, hatte Arianna ihn nur dadurch in Schach gehalten, daß sie sich ununterbrochen in jede denkbare Gestalt verwandelt hatte. Im Unterschied zu ihr war der Schwarze König kein Gestaltwandler, obwohl er Visionär war. Er wußte nicht, wie man Gestaltwandlungen kontrollieren oder die Gestalt benutzen konnte, in die der Gestaltwandler sich gerade gewandelt hatte.
Auf diese Weise hatte Arianna den Schwarzen König in sich eingeschlossen, bis Sebastian erschien, der an seiner Verbindung mit Arianna entlanggereist war. Er hatte den Schwarzen König weggelockt, war aber bei dem Versuch, ihn zu töten, erneut zersprungen und hatte Arianna dadurch in ihren eigenen Geist zurückgeschleudert. Dort hatte sie nicht mehr herausgefunden, bis Coulter gekommen war.
Coulter.
Er lächelte sie jetzt etwas unsicher an. Keiner der drei machte Anstalten, sein Lager zu verlassen. Es war, als befände sich das, was sie aufgeweckt hatte, außerhalb der Höhle.
Als sei es von einem anderen Ort hierhergekommen.
Arianna überlief eine Gänsehaut, obgleich es in der Höhle keineswegs kalt war. Sie schob das Kleid, das ihr als Decke gedient hatte, beiseite und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab. Sie war so schwach, daß ihr schon das Stehen schwerfiel. In den letzten Tagen hatte sie derart viel Gewicht verloren, daß sich ihre Knochen deutlich unter der Haut abzeichneten. König Nicholas versuchte verzweifelt, sie mit Essen vollzustopfen, aber sie konnte nicht so schnell essen, wie er es wünschte.
Ihr Vater wollte, daß sie sofort wieder zu Kräften kam, als befürchte er, sie
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