Fey 09: Die roten Klippen
gegenseitig. Der Gedanke gefiel Pausho überhaupt nicht. Gar nichts von alledem gefiel ihr.
»Kommt endlich«, drängte sie. »Es gibt auch von hier aus einen Weg ins Gewölbe.« Damit warf sie alle ihre Grundsätze über Bord und führte einen Langen zum heiligsten Ort der Blauen Insel.
29
Es war ihnen gelungen, wenigstens einige der Verwundeten ins Tal zu transportieren.
Licia hockte neben ihrem Felsen und sah zu, wie die Truppen sich wieder sammelten. Sie war mit Ay’Le übereingekommen, daß es das Beste wäre, den Soldaten etwas Zeit zur Erholung zu gönnen, um ihren Kampfgeist wieder aufzurichten und so wütend zu werden, wie echte Fey es angesichts einer solchen Niederlage sein sollten.
Die wenigen Domestiken, die sie auf diesem Feldzug begleiteten, kümmerten sich am Fuß eines Berges mit vorübergehend wirksamen Heilzaubern um die Verletzten. Leider war Licias visionäre Kraft zu gering, um ein Schattenland zu errichten, deshalb kreisten Vogelreiter am Himmel und paßten auf, ob die Inselbewohner womöglich versuchten, ins Lager einzudringen und ihr Zerstörungswerk zu vollenden.
Aber offenbar hatte Ay’Le recht: Die Inselbewohner mochten einige Erfahrung darin besitzen, sich zu verteidigen, verfügten aber über keinerlei Angriffsstrategien.
Deshalb war bis jetzt auch nichts passiert, obwohl der Rückzug der Fey schon einige Stunden zurücklag.
Die meisten Soldaten waren stumm und niedergeschlagen. Einige hockten auf den Felsen, andere kümmerten sich um die Verletzten. Die Fußsoldaten lagerten an der ins Tal führenden Straße und hofften auf die Erlaubnis, auf den Hügel zurückkehren und die Stadt in eigener Regie angreifen zu dürfen.
Die Nachmittagssonne wärmte kaum noch. Das Tal, in dem sie sich befanden, lag zwar hoch über dem Meeresspiegel, aber die Luft war trotzdem kühl. Licias Frösteln lag jedoch nicht nur am Wetter.
Ein Glück, daß wenigstens der Angriff auf den Steinbruch erfolgreich verlaufen war. Die Fey hatten über hundert Arbeiter gefangengenommen und im Steinbruch zusammengepfercht. Nur den Besitzer hatte Licia mit ins Lager genommen. Sie wollte ihn verhören, um herauszufinden, warum die Gesteinsbrocken die Farbe änderten, wenn man sie aus dem Felsen brach. Es hieß, daß das Gestein der Eccrasischen Berge, dem magische Eigenschaften zugeschrieben wurden, sich genauso verhielt.
Vielleicht war auch das Gestein in dieser Gegend etwas Besonderes.
Trotzdem konnte Licia sich einfach nicht aufraffen, mit dem Steinbruchbesitzer zu sprechen. Ihre Kehle war noch ganz wund von den vielen Befehlen, die sie während des Rückzugs gebrüllt hatte. Alle Knochen taten ihr weh, und ihr Gehirn war wie vernebelt.
Ähnliche Zustände hatte sie schon bei anderen Heerführern gesehen, aber sie hatte nie gedacht, daß so etwas auch ihr zustoßen könnte. Eine Niederlage konnte einen Anführer derartig lähmen, daß er vollkommen handlungsunfähig wurde. Rugad pflegte solche Leute einfach auszutauschen. Licia selbst hatte sich stets darüber lustig gemacht, daß jemand nicht in der Lage war, einen Mißerfolg zu verkraften.
Aber bestimmt hatte keiner der anderen Heerführer jemals so versagt wie Licia am heutigen Tag.
Sie hatte eine ganze Einheit verloren, und dazu die Hälfte der zweiten. Außerdem hatten sie die Toten auf dem Schlachtfeld zurücklassen müssen und damit Hunderte von Seelen und Häuten vergeudet, die noch zu verwenden gewesen wären, wenn die Rotkappen wie sonst ihre Arbeit hätten verrichten können.
Aber Licia wagte nicht, auch nur einen einzigen Mann zurück auf den Hügel, geschweige denn in die Nähe der Stadt selbst zu schicken.
Nicht, solange sie keinen neuen Plan hatte.
»Licia!« Shweet landete neben ihr. Die kalte Brise zauste sein Gefieder. Wie um sich an den Wind zu gewöhnen, spreizte er die Flügel und legte sie wieder an. »Komm und sieh dir an, was wir gefunden haben.«
Licia hatte keine Lust, sich irgend etwas anzusehen, aber sie wußte, daß sie mitkommen mußte. Wenn Rugad herausfand, daß sie untätig in diesem Tal herumgesessen und den Gegenangriff der Inselbewohner abgewartet hatte, war er zu allem fähig.
»Kommen sie?« flüsterte sie.
»Nein«, beruhigte sie Shweet. »Ich vermute, sie bereiten sich auf einen zweiten Angriff von unserer Seite vor.«
In seinem Tonfall schwang noch etwas anderes mit, aber Licia fragte lieber nicht nach. »Was soll ich mir denn ansehen?«
»Es ist unten im Lager. Wir treffen uns dort.« Damit
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