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Fey 09: Die roten Klippen

Fey 09: Die roten Klippen

Titel: Fey 09: Die roten Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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Shweet.
    Licia seufzte wieder. Sie wünschte, der Vogel würde nicht die ganze Zeit auf ihrer Schulter hocken. Sein unbedeutendes Gewicht war schon mehr, als sie im Moment ertragen konnte. Sie ging an den Pferdereitern vorbei, ohne der Frau noch einen Blick zu gönnen, und ging vor dem Schreiber in die Hocke.
    Er stank nach Blut und Angstschweiß. Das Blut roch alt, beinahe verwest. Die Flecken auf seinen Kleidern waren bereits schwarz, und lange Kratzwunden zeigten sich unter dem zerfetzten Stoff. Trotzdem bezweifelte Licia, daß es sich um sein eigenes Blut handelte. Er sah nicht aus wie ein Verwundeter. Er wirkte bloß völlig erschöpft.
    »Schreiber«, sprach sie ihn an. »Ich bin Licia, die Oberbefehlshaberin dieser Truppe.«
    Der Mann nickte.
    »Erzähl mir, was passiert ist.«
    »Neiiiin«, zischte Shweet, aber es war schon zu spät. Der Schreiber beugte sich vor.
    »Alles fing an, bevor wir die Hügelkuppe erreichten«, begann er. »Boteen sah hoch oben auf dem Berg einen Edelstein funkeln. Er befahl mir, meine Kutsche zu verlassen. Ich gehorchte. Als ich ausgestiegen war, verbeugte ich mich vor Boteen, und er sagte: ›Vor mir brauchst du dich nicht zu verbeugen, Schreiber.‹
    ›Verzeihung, Herr‹ erwiderte ich …«
    »Etwas weniger ausführlich, wenn ich bitten darf«, fiel ihm Licia ins Wort. Die ganze Geschichte konnte nämlich zwei Tage oder mehr in Anspruch nehmen, je nachdem, wie lange das tatsächliche Geschehen gedauert hatte. »Du brauchst mir keinen Beweis deines Talents zu liefern. Erzähl mir einfach wie ein gewöhnlicher Mensch, warum deine Kleider voller Blut sind.«
    »Weil ich sie alle umgedreht habe, um zu sehen, ob sie tot sind.«
    Licia erstarrte. »Wen?«
    »Threem«, wieherte die Pferdereiterin klagend.
    »Caw, die Möwenreiterin«, fügte Shweet hinzu.
    »Und Boteen«, ergänzte der Schreiber.
    »Boteen!« flüsterte Licia. »Wer könnte ihn wohl töten?«
    »Eine Rotkappe«, antwortete der Schreiber.
    Licia runzelte die Stirn. Das war doch Unsinn. Boteen hatte keine Rotkappe bei sich gehabt.
    »Und ein Inselbewohner«, setzte der Schreiber hinzu.
    »Das mußt du mir genauer erklären – aber beschränk dich dabei auf das Notwendigste. Ich habe heute nämlich noch etwas anderes zu tun«, befahl Licia streng, machte sich allerdings trotzdem auf eine endlose Geschichte gefaßt. In jeder kleinsten Einzelheit schilderte ihr der Schreiber, wie er und seine Gefährten den Berg hinaufgezogen waren, um den »Edelstein aus Licht« in Augenschein zu nehmen, und von der Welle, die Boteen so heftig getroffen hatte, daß er fast bewußtlos geworden war. Daß sie Threem vorgeschickt hatten, um festzustellen, ob der Gebirgspfad passierbar war, und von dem Versteck, in dem der Schreiber und die Möwenreiterin seine Rückkehr erwartet hatten. Wie Threem und Boteen schließlich zurückgekommen und ihnen wenige Minuten später eine Rotkappe und ein vierschrötiger, blonder Inselbewohner gefolgt waren. Wie die Rotkappe zwischen Threems Beine geschlüpft war und ihm von unten den Bauch aufgeschlitzt hatte. Wie Threem sich aufgebäumt und ausgeschlagen hatte und Caw sich auf die Rotkappe gestürzt hatte, nur um wenige Sekunden später das gleiche Schicksal zu erleiden. Und wie die Rotkappe schließlich den Zaubermeister auf bestialische Weise umgebracht hatte.
    Einen Zaubermeister!
    Den einzigen, den die Fey auf diesen Eroberungsfeldzug mitgenommen hatten.
    Während der Schreiber noch sprach, wurden Licias Hände eiskalt. Sie hatte geglaubt, es könne nicht noch schlimmer kommen, aber sie hatte sich getäuscht. Sie hatte genug gehört. »Kamen der Inselbewohner und die Rotkappe aus der gleichen Richtung wie Boteen?«
    Der Schreiber nickte.
    »Hat Boteen irgend etwas darüber gesagt, ob er auf dem Berg das gefunden hat, was er vermutet hatte?«
    »Threem kam zuerst und meinte, ja. Aber Boteen lebte nicht mehr lange genug, um mir davon zu berichten. Ich habe dir alles Wort für Wort wiedergegeben und nichts ausgelassen.«
    »Hast du eine Vorstellung, wie viele ›andere‹ noch in der Nähe waren?« fragte Licia.
    »Nein«, erwiderte der Schreiber. »Ich hatte keine Ahnung, daß jemand vor uns war, und Boteen bestimmt auch nicht.«
    »Ich werde einfach nicht schlau aus der Sache«, murmelte Licia und verzog angestrengt das Gesicht. Der Schreiber hatte sie mit so vielen Details überschüttet, daß es schwer war, aus seiner Erzählung die entscheidenden Fakten herauszufiltern. »Boteen hat doch den

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