Fey 09: Die roten Klippen
Augenblicke lebte sie. Für den Moment unmittelbar vor einer Schlacht, wo noch alles in der Schwebe war. Er verlieh ihr ein Gefühl von Macht, das Gefühl, daß die Welt ihr gehörte und sie einen berechtigten Anspruch darauf hatte. Und schon am Abend würde dieses kleine Fleckchen Erde ihr tatsächlich gehören.
Sie würde es im Namen des Schwarzen Königs erobern und besetzen.
Im Namen aller Fey.
15
Pausho stand am Rand des Marktplatzes. Ihr war übel, und sie hatte starke Kopfschmerzen. Sie fühlte sich schon den ganzen Morgen krank, obwohl es ihr beim Aufwachen noch gutgegangen war. Aber schon im nächsten Augenblick hatte sie alle Anzeichen einer Magenverstimmung gespürt. Sie konnte es sich nicht erklären, aber es fühlte sich an, als sei eine Welle des Bösen durch ihren Körper hindurch und wieder aus ihm hinausgeströmt und hätte dabei alle ihre Organe durcheinandergebracht.
Trotzdem war sie aufgestanden, hatte ihre Morgenkleider angezogen – zwei Pullover, mehrere Röcke und schwere Stiefel – und war wie jeden Tag zum Marktplatz gegangen. Aber selbst das war nach den Ereignissen vor zwei Tagen ein seltsames Gefühl. Pausho hatte Matthias auf dem Berg zur Höhle des Roca geschickt und war davongegangen. Zuletzt hatte sie gehört, daß er vor dem Eingang der Höhle fast umgekommen wäre und daß ein anderer Langer ihn beschützt hatte.
Ein Langer hatte ihm das Leben gerettet.
Das war nun schon das zweite Mal.
Es konnte nur bedeuten, daß der Berg etwas anderes mit Matthias vorhatte.
Für diesen Morgen hatte Pausho sich vorgenommen, noch einmal die Legenden über die Langen zu studieren, die den Berg öfter als einmal überlebt hatten. Sie erinnerte sich dunkel daran, während ihrer Ausbildung davon gehört zu haben, aber sie hatte die Einzelheiten vergessen. Als Weiser mußte man so vieles wissen, daß man sich nicht ständig an alles erinnern konnte. Manchmal mußte man eben die Quellen befragen, die Legenden und die Worte.
Die Worte. Auch sie mußte sie gründlich nach Hinweisen durchforsten. Seit jener Nacht vor zwei Wochen, in der Pausho mit angesehen hatte, wie Matthias und der brennende Junge sich Feuerkugeln zugeworfen hatten, war nichts mehr so wie früher. Jene Ereignisse, für die sie und die anderen Weisen ihre Vorkehrungen getroffen hatten, vor denen sie sich und ihre Stadt ihr Leben lang in acht genommen hatten, waren letztendlich doch noch eingetroffen. Die Dämonenbrut war über sie gekommen. Und nicht nur ein Abkömmling der Dämonen, sondern gleich deren zwei. Matthias und Coulters Sohn, der ebenfalls Coulter hieß.
Beider Schicksal war eng mit Paushos eigenem verknüpft. Sie war es gewesen, die Coulter als Säugling auf den Berg gebracht hatte. Aber er war am Leben geblieben, hatte die Blutklippen verlassen, sich eine Frau genommen und offenbar einen Sohn gezeugt, der ungewöhnliche Fähigkeiten besaß.
Sie war es auch gewesen, die Matthias damals auf den Berg getragen und im Schnee ausgesetzt hatte. Matthias hatte es überlebt und war im Tabernakel zu Rang und Würden gekommen, hatte sein Amt aber niedergelegt und war in seine Heimat zurückgekehrt. Pausho hatte versucht, sich mit seiner Anwesenheit abzufinden, aber er war ihr immer unheimlich geblieben. Mit seinem hohen Wuchs und den blonden Locken glich er einer Gestalt aus den alten Sagen. Sein Zorn, den er nur mühsam verbarg, machte ihn gefährlich. Und seine neu entdeckte Macht öffnete seine Seele den Dämonen, die ihn beherrschten.
Pausho zupfte ihren Pullover zurecht und wünschte sich, die Übelkeit würde endlich nachlassen. Heute morgen wimmelte es auf dem Markt von Menschen. Nach dem Zwischenfall mit den Langen vor drei Tagen war in der Stadt wieder der Alltag eingekehrt. Die Bewohner hatten die Langen mit ihren Bannsprüchen vertrieben und in die Berge gescheucht. Matthias, dem die Stadtbewohner nichts anhaben konnten, war ihnen gefolgt, und mit ihm ein ehemaliger Weiser, der Pausho an der Nase herumgeführt hatte.
Tri.
Pausho lehnte sich an eine der Marktbuden und spürte die kalte Mauer im Rücken. Ihre Blicke folgten den Vorübergehenden. Viele Einwohner von Constantia hatten die Gewohnheit, sich täglich auf dem Marktplatz zu treffen, um sich über die neuesten Ereignisse auszutauschen. Die meisten kauften nur wenig ein, gerade genug Essen für einen Tag, und die meisten von ihnen verdienten ihr Geld im Steinbruch. Aber der Steinbruch konnte nicht ewig die einzige Einnahmequelle der Einwohner
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