Fey 09: Die roten Klippen
beim Erwachen aus seiner Ohnmacht am Fuße des Berges eigentlich nicht gefühlt. Zerschunden und verletzt, das ja; ausgesogen und erschöpft – nein. Sein Hals schmerzte. Er war geschwollen und zerkratzt, übersät mit den Abdrücken schlanker Finger. Aber erst heute morgen in diesem Bett hatte Matthias gespürt, daß ihm etwas Wichtiges fehlte.
Matthias hob die Hand ans Gesicht und rief sich seine Verwundungen ins Gedächtnis. Seit der zweiten Ankunft der Fey waren sie zahlreich geworden. Man hatte mehrmals mit einem Messer auf ihn eingestochen und ihm Verletzungen im Gesicht beigebracht, die Marly hatte nähen müssen. Sie hatte ihm versprochen, in den nächsten Tagen die Fäden zu ziehen, und auch versprochen, daß das scheußliche Jucken dann aufhören würde. Alle diese Wunden hatte ihm eine Fey-Frau damals im Fluß beigebracht. Sie hatten ihn zwar geschwächt, aber er hatte sich wieder erholt. Danach hatte Jewel ihn fast erwürgt. Er war immer noch kurzatmig. Und jetzt diese unbekannte Krankheit.
Matthias hatte genug von alledem.
Er schlug die Decken zurück und schwang die Beine über die Bettkante. Bis jetzt war es ihm noch jedesmal gelungen, wieder zu Kräften zu kommen. Er würde es auch diesmal schaffen.
Das Aufstehen fiel ihm leichter als erwartet. Offenbar hatte der Schlaf ihm dennoch gutgetan. Er stützte sich mit einer Hand an der Wand ab, nahm eines seiner Gewänder und streifte es über den Kopf. Er hatte einen fürchterlichen Muskelkater von den Strapazen der letzten Tage, aber diese Schmerzen fand er vergleichsweise erfreulich. Er hatte schon fast vergessen, wie gern er sich bewegte.
Obwohl er immer noch nicht hungrig war, steuerte er auf die Küche zu. Essen würde ihn stärken, ob sein Körper nun danach verlangte oder nicht.
Marly stand mit verschwitztem Gesicht am Herd. In den Blutklippen war es das ganze Jahr über kühl, und es gab keine heißen Sommer, aber das Steinhaus speicherte die Wärme. Denl stand in der offenen Hintertür und nippte an einer Tasse Tee. In den wenigen Tagen seit ihrer Ankunft war sein Gesicht voller geworden. Die Bergwanderung mit Matthias schien ihn nicht im mindesten erschöpft zu haben.
Jakib, Marlys Bruder, saß am Tisch und löffelte seine Hafergrütze. Er war so gedrungen, wie Marly hochgewachsen war. Nur um die Augen herum sahen sich die beiden ähnlich. Ansonsten merkte man nur an der gegenseitigen Zuneigung, daß sie Geschwister waren.
Yasep, der offizielle Anführer der Bande, als sie sich noch als Diebe in Jahn durchgeschlagen hatten, blickte von seinem Platz am Kopfende des Tisches auf. Seine kalten, eisblauen Augen funkelten zornig. Er hatte Matthias nie leiden können, aber im Lauf der vergangenen zwei Wochen hatte er anerkennen müssen, daß Matthias nicht nur klüger als er, sondern auch der bessere Anführer war. Yasep hielt zwar den Schein aufrecht, daß er der Boß der Bande war, beugte sich aber mehr und mehr Matthias’ Wünschen. Matthias hatte den heimlichen Verdacht, daß sie eines Morgens aufwachen und feststellen würden, daß Yasep sich aus dem Staub gemacht hatte.
Das Leben in Constantia war nicht halb so aufregend, wie in Jahn auf Beutezug zu gehen und sich in unterirdischen Tunnelsystemen zu verstecken.
Marly drehte sich nach ihm um. »Du sollst doch schlafen«, tadelte sie.
»Ich glaube, ich sollte etwas essen.«
Jakib stand auf und bot Matthias seinen Stuhl an. Yasep rührte sich nicht von der Stelle, obwohl er schon aufgegessen hatte.
Typisch.
Matthias murmelte einen kurzen Dank und setzte sich. Es tat gut. Der kurze Weg vom Schlafzimmer bis zur Küche war ihm endlos vorgekommen.
Marly stellte eine Schüssel dampfende Grütze vor ihn hin. Sie hatte etwas Obst hineingeschnitten, das offenbar jemand auf dem Markt besorgt hatte. Matthias löffelte langsam und fühlte mit jedem Bissen seine Kräfte zurückkehren.
Es war richtig gewesen, aufzustehen und hierherzukommen.
»Geht es Euch besser, Heiliger Herr?« erkundigte sich Denl.
Matthias nickte. Jetzt, wo er aß, merkte er erst, wie hungrig er war. Er hatte noch nicht einmal Lust, Denl zurechtzuweisen, daß er ihn wieder einmal »Heiliger Herr« genannt hatte.
»Draußen auf den Straßen is alles wie immer«, erklärte Denl. »Hab mich vor dem Frühstück noch mal umgesehn.«
»Danke«, sagte Matthias. Er wußte Denis Eifer zu schätzen, auch wenn er zu keinem Ergebnis führte.
»Glaubt Ihr, das, was gestern passiert is, hat was damit zu tun?« fragte
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