Fey 09: Die roten Klippen
zog sie an sich. »In deinen Augen vielleicht«, sagte er so leise, daß die wenigen Leute weiter unten ihn nicht hören konnten. »Aber nicht in den Augen deines Großvaters.«
»O doch, du bist ihm sehr wichtig«, sagte sie. »Wichtiger, als du glaubst. Du stehst ihm im Weg.«
Nicholas war sich nicht so vorgekommen, als stünde er im Weg; es kam ihm eher so vor, als habe er den Weg freigemacht. »Komm mit«, sagte er zu Jewel. »Du kannst mich beschützen.«
»Ich kann dich nicht einmal vor dir selbst beschützen«, gab sie zurück.
Beinahe hätte er es vergessen: Immer wenn sie unterschiedlicher Meinung waren, gerieten sie aneinander.
Nur machte es ihm diesmal überhaupt nichts aus.
»Ist schon gut«, sagte er.
Adrian und Fledderer waren am Höhleneingang angekommen und duckten sich an eine Wand, als hätten sie irgend etwas entdeckt. Fledderer reichte Adrian Schwert und Messer, die sich Adrian umgürtete. Fledderers Schwert steckte bereits in der Scheide, die er ständig mit sich trug. Der kleine Fey flüsterte Adrian etwas ins Ohr, dann schlichen sie nach draußen.
Nicholas ging bis zu der Stelle, an der sie gekauert hatten. Von dort aus erblickte er zwei Männer auf dem steinernen Plateau. Beide waren Fey, einer von ihnen war nackt.
»Boteen«, flüsterte Jewel unnötigerweise. »Der Zaubermeister meines Urgroßvaters.«
»Und der andere?« flüsterte Nicholas.
»Ein Pferdereiter. Sie sind wohl gemeinsam hier heraufgeritten, bis sich der Reiter für den letzten Teil des Weges zurückverwandelt hat.«
Der Zaubermeister sah ebenso mitgenommen wie Coulter aus. Zumindest schienen die Auswirkungen, mit denen Coulter zu kämpfen hatte, andere Zaubermeister, wie Jewel ihnen versichert hatte, ebenso zu beeinträchtigen. Adrian und Fledderer saßen hinter einem Stein versteckt und beobachteten die beiden.
Der Pferdereiter hielt den Zaubermeister an der Schulter fest. Der Zaubermeister richtete noch einen langen, sehnsüchtigen Blick auf die Höhle, dann machten sich die beiden wieder an den Abstieg.
Adrian und Fledderer folgten ihnen, von einer Deckung zur anderen huschend.
Auch Nicholas wollte die Höhle verlassen, doch Jewel hielt ihn fest. »Nein«, sagte sie.
»Ich kann doch gehen«, beschwerte er sich. »Es sind nur zwei von ihnen, außerdem sind sie schon weg.«
»Und einer davon ist ein echter Zaubermeister. Ein praktizierender Zaubermeister, nicht wie der Junge da drin, der nur das zuwege bringt, was er sich auf die Schnelle ausdenkt. Boteen ist der zaubermächtigste Fey, der dir je begegnen wird.«
»Noch mächtiger als der Schwarze König?«
»Was die Magie angeht – ja«, nickte Jewel.
Nicholas schluckte. »Dann können wir wohl davon ausgehen, daß der König nicht mehr weit ist, wenn schon sein Zaubermeister hier auftaucht.«
Jewel nickte.
Er legte einen Arm um sie und zog sie an sich. »Dann wird es höchste Zeit, unsere Kräfte zu sammeln, meine Liebe. Verrate mir die Stellungen der Fey, damit ich weiß, wie ich meine Insel verteidigen kann.«
Sie lächelte, küßte ihn auf die Wange und löste sich auf. Mit einem Mal hielt er nur noch leere Luft umfangen. Er taumelte ein wenig, dann ließ er den Arm sinken.
Daran würde er sich wohl gewöhnen müssen.
In der Zwischenzeit beobachtete er Fledderer und Adrian dabei, wie sie zwischen den Felsbrocken herumkrochen und herauszufinden versuchten, was der mächtigste Zaubermeister der Fey im Schilde führte.
20
Adrian stand auf und entfernte sich von dem Felsen, hinter dem er sich versteckt hatte. Die beiden merkwürdigen Fey waren die Stufen hinuntergegangen und ihren Blicken entschwunden. Beide Männer waren älter als er gewesen, einer von ihnen sogar nackt. Der nackte Fey hatte mehr Körperbehaarung, als es Adrian jemals an einem Fey außerhalb der Schattenlande gesehen hatte. Einige der Tierreiter waren so beschaffen, daß ihre Behaarung ihrer tierischen Form entsprach.
Aber dieser andere Fey … Ein hochgeschossener, dürrer Fey, größer und dürrer als alle Fey, die Adrian zu Gesicht bekommen hatte. Sie waren so rasch hinabgestiegen, als wüßten sie, daß sie von Adrian und Fledderer verfolgt wurden.
Adrian ging wieder über die steinerne Ebene, stets darauf bedacht, sowenig Geräusche wie möglich zu verursachen, um die Fey nicht aufzuschrecken. Die Steine waren mit der Zeit locker und bröckelig geworden, und er wollte vermeiden, daß sie gegeneinander oder gegen den Boden schlugen. Fledderer folgte dicht hinter
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