Fey 10: Das Seelenglas
Ordnung hatte, dann würde die Illusion ohne seine Hilfe funktionieren. Jewel hatte ihnen erklärt, eine solche Illusion sei ähnlich wie ein Schattenland, ein Zauber, der sich selbst aufrechterhält. Die Fey verfügten über Hunderte sich selbst aufrechterhaltender Zauber, von denen die meisten in den Bereich der Domestiken fielen. Einige dienten jedoch auch kriegerischen Zwecken.
Leen stand direkt hinter dem Eingang. Auch sie hatte zugeschaut. Nicholas nickte ihr zu. »Du brauchst Ruhe.«
»Ich weiß«, erwiderte sie. »Aber zuerst wollte ich mir die Prozedur ansehen.«
Ganz die gute Soldatin. Nicholas verfügte, wie er schon einmal gesagt hatte, nicht über eine große Streitmacht, dafür aber über eine hervorragende.
Bevor er nach draußen gegangen war, hatte Adrian angefangen, die Juwelen zu gruppieren. Sie sollten am Rande des Plateaus aufgereiht werden. Nicholas wollte die Aufgabe zu Ende bringen, vielleicht mit Coulters Hilfe. Gabe stand am Fuß der Treppe. Er und Nicholas hatten – unabhängig voneinander, wie es schien – beschlossen, dort außerdem ein Schattenland zu errichten, damit Nicholas die Waffen innerhalb der Höhle einsetzen konnte, ohne sich um seine Kinder Sorgen machen zu müssen.
Das andere Schattenland wollten sie als Lockvogel stehen lassen.
Arianna stand nahe bei Gabe und sah zu, wie er an dem Schattenland arbeitete. Jewel saß auf ihrer Lieblingsstufe und schaute ihren Kindern mit sorgenvoll gefurchter Stirn zu.
Als sie Nicholas erblickte, lächelte sie. Ihr Anblick erwärmte ihn, so wie beim ersten Mal. Er wollte, daß das alles vorbei war, wollte, daß sie mit ihm nach Hause kommen konnte und dort mit ihm alt werden. Er wollte sie immer an seiner Seite wissen.
Er hatte ihren Verlust nie verschmerzt, und er war nicht sicher, ob er über diese Rückkehr und alle ihre Einschränkungen hinwegkommen würde. Es war, als hätte er sie nur teilweise wieder, nicht ganz, und das war nicht genug.
Es würde ihm niemals genügen.
- Willst du noch weitere Kinder haben? Der Nebel hatte ihn das gefragt, als er besinnungslos war.
Nein, hatte er geantwortet, und es war ihm ernst damit gewesen.
Wegen Jewel. Weil er mit niemand anderem zusammensein konnte, nicht für alle Zeit, nicht auf die gleiche Weise.
Sie wandte den Kopf, als hätte sie ein verdächtiges Geräusch gehört. Dann sah sie ihn mit furchtsamem Blick an.
Jewel – und furchtsam.
Auch das war neu.
Er rannte die Treppe hinunter und nahm die ihm entgegengestreckten Hände.
»Nicholas«, sagte sie. »Er kommt.«
»Wer?«
»Matthias.« Sie konnte seinen Namen nicht aussprechen, ohne daß der Haß ihre Stimme färbte. »Ich weiß, daß die Schamanin ihn gerettet hat. Ich weiß, daß es einen Grund dafür gibt, aber Nicholas, ich kann ihn nicht …«
Er packte ihre Hände fester, als könnte er sie an seiner Seite festhalten.
»Du mußt«, sagte er. »Für uns alle. Erst der Schwarze König, dann Matthias. Du kannst doch warten, bis wir mit deinem Großvater fertig sind, oder nicht?«
»Ich möchte es ja.« Sie zog ihn näher an sich. »Bitte, Nicky. Glaube mir. Ich möchte es.«
Er legte ihre Hände auf seine Brust, neigte sich zu ihr, um sie zu küssen – und sie löste sich auf.
Er stolperte vorwärts, wäre beinahe gefallen, und fluchte so laut, daß Gabe sein Schattenland zusammenklappen ließ. Arianna kam zu ihm gerannt.
»Papa?«
Er ließ sich von ihr die restlichen Stufen hinabführen, wobei er den Brunnen nicht aus den Augen ließ. Die Schamanin war gestorben, um Matthias das Leben zu retten. Sie hatte es für so wichtig gehalten, daß sie sogar Jewel davon abgehalten hatte, eines ihrer Ziele als Mysterium zu erreichen.
Wenn er das Brunnenwasser noch einmal kostete, war es ihm vielleicht möglich, Jewel zu folgen.
Und dann?
Sollte er sie davon abhalten, Matthias zu töten?
Obwohl er es früher selbst beinahe getan hätte?
Aber die Schamanin hatte ihn noch nie verraten. Nicht einmal, auch wenn er es einmal vermutet hatte.
Sie war dafür gestorben. Sie hatte es für richtig gehalten.
»Papa?« fragte Arianna zum zweiten Mal.
Er löste seinen Blick vom Brunnen. Er hatte seine Entscheidung getroffen, ebenso wie diese Wesen, wie auch immer sie heißen mochten. Und wie die Schamanin. Matthias mußte wissen, daß Jewel hier auf ihn wartete.
Es war seine eigene Entscheidung.
Nicholas würde sich nicht einmischen.
»Papa?« fragte Ari wieder, diesmal mit ängstlich erhobener Stimme.
»Alles in Ordnung«,
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