Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fey 10: Das Seelenglas

Fey 10: Das Seelenglas

Titel: Fey 10: Das Seelenglas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
Vom Netzwerk:
wäre niemand hier.
    Dabei hatte sie die meisten Weisen hierhergeschickt. Sie mußten immer noch im Gewölbe sein.
    Da sah sie eine Bewegung in der Nähe der Eingangstür zum Gewölbe. Ihr Herz fing an zu pochen, und sie machte einen Schritt in diese Richtung.
    Die Dunkelheit auf dieser Wand wich nicht. Sie schien das Licht aufzusaugen, es der Kerze regelrecht zu entreißen, um sie kleiner und weniger wirkungsvoll zu machen. Paushos Atem ging jetzt ganz flach, ihre Hände waren kalt.
    Sie umklammerte die Kerze fester und hielt sie dann so weit von sich, wie ihre Arme reichten. Trotzdem konnte sie der Dunkelheit nichts anhaben.
    Da! Wieder bewegte sich etwas.
    Unwillkürlich entwich ihr ein leises Geräusch aus der Kehle, und sie wünschte sofort, es wäre nicht geschehen.
    Die Bewegung rührte von einer Hand her. Einer zuckenden Hand auf dem Boden. Die Hand stand mit nichts in Verbindung.
    Außer mit der Dunkelheit. Mit angehaltenem Atem schlich sie näher heran. Die Hand ging in einen Arm über, der in der Dunkelheit verschwand. Die Bewegung der Hand war ruckartig, zuckend, so wie sie es manchmal bei Schwerverwundeten gesehen hatte oder bei Leuten, die sehr tief schliefen.
    Die Dunkelheit hatte etwas an sich, das ihr noch nie zuvor begegnet war.
    Sie ging in die Hocke, hielt die Kerze näher heran, und die Dunkelheit löste sich auf. Einen Augenblick lang bildete sie den Schatten einer Frau und schien sie anzusehen. Sie hatte Zak verdeckt.
    Sein Gesicht war bleich, seine Augen geschlossen, und ohne seine zuckende Hand hätte sie ihn für tot gehalten.
    »Weiche«, flüsterte sie dem Schatten zu. Er sah sie immer noch an, sofern etwas Gesichtsloses einen anblicken konnte, doch dann legte er sich wieder über Zak.
    Pausho nahm all ihren Mut zusammen und streckte die Hand danach aus, fest entschlossen, das Ding wegzureißen. Als sie es berührte, überlief sie eine Gänsehaut. Es fühlte sich nicht an wie Dunkelheit. Es hatte eine ölige Beschaffenheit, sämig, nachgiebig. Und glitschig. Ihre Hände konnten sich nirgendwo festhalten. Es schien keine feste Oberfläche zu geben, keine Ecken, nichts, an dem man zupacken konnte.
    Zak schien nicht zu wissen, was mit ihm geschah. Seine Hand zuckte und zuckte und tat nichts, um Pausho zu unterstützen. Sie schob die Kerze auf die Dunkelheit zu …
    Und spürte, wie sie etwas von hinten anstieß. Sie stürzte auf die glitschige Schwärze, die Zak bedeckte. Die Kerze fiel ihr aus der Hand, schlug auf dem Boden auf und verlosch.
    Pausho drehte sich in dem Augenblick um, als etwas Schwarzes und Schweres ihr Gesicht traf, sich hineinkrallte und krampfhaft festhielt …
    Sie war auf dem Berg, ein Kind in den Armen, das sich an ihrer Brust barg. Ihr Kind. Nein, Matthias. Nein, ein anderes kleines Mädchen. Es war ihr Kind, das Kind einer anderen Frau, alle Kinder, die sie jemals auf den Berghang getragen hatte, und es drängte sich an sie. Sie bestand darauf, die kleinen Kinder wegzutragen – sie wußte nach dem ersten Mal, daß sie allein die Kraft dazu besaß –, doch sie legte es hin, nackt, wie es war, in den Schnee.
    Sie befanden sich oberhalb der Baumgrenze, der Schnee war tief. Es war Winter, und das Kind weinte, schrie, es wußte, daß es sterben würde -
    Das war falsch, das war falsch. Aber das hatte sie in der Vergangenheit getan, nicht jetzt. Jetzt kämpfte sie verzweifelt, sie kämpfte -
    Wie ein Kind im Schnee. Ihr wurde kälter und kälter, sie sah den Erwachsenen davongehen, wußte, daß sie sterben mußte, so wie sie alle gestorben waren.
    Sie hatte sie alle umgebracht. Nur wenige hatten überlebt. Matthias. Coulter.
    Nur wenige.
    Aber das kleine Mädchen nicht.
    Nicht ihr Kind.
    Dann schlug die Verzweiflung über ihr zusammen, die Verzweiflung, die sie seit Jahrzehnten in sich begraben hatte, tief und alt und unberührt. All diese Leben, diese unschuldigen Leben. Verloren.
    Umgebracht.
    Von ihr.
    Weil jemand vor langer Zeit die Worte des Roca mißverstanden hatte und weil sie dem Mißverständnis fraglos gehorcht hatte.
    Fraglos.
    Sie lehnte sich im gefrorenen Schnee zurück und fühlte, wie seine Kälte ihren Körper umfing. Dieser Tod war nicht genug, war nicht lang genug, nicht quälend genug, nicht schrecklich genug, um ihr ihre Verbrechen heimzuzahlen.
    Nur daß sie nicht auf dem Berg war. Sie war nicht dort. Sie hatte die Hand nach Zak ausgestreckt -
    Und versagt, wie sie schon so oft versagt hatte.
    Noch etwas anderes war in ihren Gedanken. Jemand drückte

Weitere Kostenlose Bücher