Fida (German Edition)
Vielleicht weil ihr Anblick ihn heimlich erfreute und die Gräber ohnehin hinterm Haus lagen, wo niemand außer ihm sie sehen konnte.
Im ersten Stock nahm er eines der Bretter ab, damit man aus dem Fenster sehen konnte. Von dort oben war die Straße gut einsehbar, ebenso der Fußweg, der daneben aufs Gebäude zu und am Gelände entlang führte. Das Haus wirkte inzwischen, als stünde es schon jahrelang leer. Schon seit Jahren, nachdem sein Vater ins Pflegeheim kam, wurde daran nichts mehr repariert, das Dach wirkte marode und hier und da hatte ein Sturm einzelne Ziegel herunter gefegt. Der ungepflegte Zustand des Gartens und die mit Latten vernagelten Fenster rundeten das Bild ab. Wer würde schon vermuten, dass der Besitzer selbst sich darum kümmerte, dass es möglichst heruntergekommen und verlassen aussah? Als Tom sein Erbe an- und das Haus seiner Kindheit wieder betrat, hatte er sich diesen Plan zurechtgelegt und sofort damit begonnen, seine bösartige Idee in die Tat umzusetzen. Wer weiß, wenn sich diese Gelegenheit nicht ergeben hätte, dann wäre sie wohl ewig eine Wichsphantasie geblieben, ein unverwirklichter Traum. So jedoch spielten ihm die Umstände in die Hände und eins hatte er schon immer getan: Eine gute Gelegenheit erkannt und auch genutzt, wenn sie sich bot.
Er hatte noch am selben Tag den Keller vermessen und abends eine Liste der Dinge geschrieben, die er aus dem Baumarkt brauchte. Mehrere Wochen verbrachte er mit seinen Vorbereitungen. Obwohl er einen Druckluftnagler benutzte, um die Latten am Haus und die Dämmung im Keller anzubringen, hatte er lange gebraucht, bis die Bude verrammelt und der Keller schalldicht war. Aber der Aufwand hatte sich gelohnt.
Weil er immer darauf achtete, wer sich auf der Straße herumtrieb, war ihm, ein paar Wochen nachdem er sich Fida schnappte, etwas Interessantes aufgefallen. Tom fand heraus, was das Besondere an den Mittwochnachmittagen war. Und wie es der Zufall so wollte, dieses Jahr fiel Lauras Geburtstag ausgerechnet auf einen solchen.
Tom sah das als erstklassige Gelegenheit seine Dominanz zu beweisen und der Kleinen auf ganz besondere Art zuzusetzen. Seit er die Kleine fing, hatte er sie aus dem Keller nicht wieder rausgelassen. Weshalb auch? Doch seine scharfe Beobachtungsgabe und sein manipulatives Gemüt offenbarten ihm diesen Ausblick, den man von da oben hatte, nachdem er eine der Latten wieder entfernte, als neues Werkzeug, mit dessen Hilfe er Laura noch mehr brechen konnte. Dieser Ausblick würde seine ganz besondere Überraschung für Laura werden.
***
Laura konnte nicht sagen, ob es draußen Tag oder Nacht war, hatte das Gefühl für Zeit längst verloren. Der Tag- und Nacht-Rhythmus, der den Rest der Welt beherrschte, war hier unten bedeutungslos und nicht existent. Sie maß die Zeit nun in Schmerzintervallen, in abschwellenden Hämatomen, dem Verblühen eines Veilchens oder am Abfallen des Schorfs von einer ihrer Wunden.
Anfangs hatte sie sich im Dunkeln entsetzlich gefürchtet, Angst vor dem gehabt, was sie nicht sehen konnte, dem Unbekannten, das in den schwarzen Ecken lauern und sie anspringen könnte. Diese Angst hatte sie inzwischen nicht mehr. Hier unten gab es nichts, außer ihr selbst und ein paar harmlosen Gegenständen. Sie war froh über das batteriebetriebene Lämpchen gewesen, das er ihr ganz am Anfang ihrer Gefangenschaft mitgebracht hatte. In seinem Schein hatte sie das geliehene Buch gelesen, tröstende Blicke in die früher eher verhassten Schulbücher geworfen und ihre blauen Flecke gezählt. Sie ließ es dauernd brennen, bettelte um neue Batterien, sobald die aktuellen schwächelten, doch mittlerweile benutzte sie es nur noch selten. Es war dunkel und still, nur die kleine Flamme des Gasheizstrahlers spendete ein Minimum Licht. Das schummrige Halbdunkel in das er den Raum tauchte war genug, um sich im Raum zu orientieren. Die Dunkelheit wurde zu ihrer Freundin, von der sie sich umhüllen ließ, wie von liebenden Armen. Ihr Grauen kam mit der Helligkeit. Wenn es hell wurde zuckte sie angstvoll zusammen und erzitterte vor dem, was das Licht diesmal mit sich bringen würde.
Sie wusste nie, in welcher Stimmung Tom war, wenn er zu ihr in den Keller kam. 17 Stufen führten ihn in ihre Hölle hinab und jedes Mal zuckte sie angstvoll zusammen, bei jedem einzelnen seiner Schritte, die sie zu sich herabsteigen hörte. Es gab seltene Tage, an denen wirkte er ganz normal, saß nur bei ihr rum, als wäre er ein Freund,
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