Fida (German Edition)
ihrem Schenkel ab, bevor er Halt findet. Tom hält ihren Knöchel wie in einem Schraubstock gefangen. Pure Mordlust spiegelt sich in seinen Augen wieder als er knurrt: „Dafür mach‘ ich dich kalt, du Drecksau!“ Die Flammen spiegeln sich in seinen Augen wider. Das Feuer hat sie fast erreicht, es leckt schon nach ihnen, mit seinen hungrigen, heißen Zungen.
Tatjana ist sich bewusst, dass sie vorhin in der Benzinpfütze stand und ein einzelner, zu ihr überspringender Funke wohl genügen würde, um sie lichterloh in Brand zu setzen. Doch statt Panik macht sich in diesem Moment, als die Gefahr am größten ist, eiskalte Ruhe in ihr breit. Obwohl sie sich im letzten Jahr oft ausgemalt hatte, was sie mit dem Entführer ihres Kindes anstellen würde, hatte sie nicht vorgehabt, ihn zu töten. Diese Motivation war noch weiter gesunken, als sich das Mädchen im Keller nicht als Laura entpuppte. Tatjana wollte ihn nur außer Gefecht setzen, seine Gefangene retten, an ihm vorbei in die Freiheit schlüpfen und es der Justiz überlassen, ihm seine gerechte Strafe zu erteilen.
Doch obwohl er den Kampf augenscheinlich verloren hat, gibt er noch immer nicht auf. Stattdessen hält er sie fest und versucht, Herr der Lage zu werden. Tatjana sieht rot. Sie greift nach der Nagelpistole, die ein Stück von ihr entfernt, aber nicht außer Reichweite, auf den Boden fiel. Ein letztes Mal hebt sie die Nagelpistole an, setzt sie direkt auf seine Stirn und drückt schnell ab, noch ehe er den Kopf wegdrehen kann. Ein hysterischer Schrei entfährt ihr, während sein Griff um ihren Knöchel kraftlos wird. Ein ungläubiger Ausdruck huscht über Toms Gesicht. Tatjana drückt erneut ab, wieder und wieder. Sie jagt ein Geschoss nach dem anderen in seinen kranken Schädel. Erst als er vollkommen bewegungslos daliegt, hört sie auf. Angewidert und schockiert über das, was sie gerade getan hat, wirft sie die Nagelpistole zur Seite. Toms Griff hat nun nichts Klammerndes mehr, sondern ist schlaff und leblos. Langsam weicht sie vor ihm zurück. Auch sie selbst fühlt sich schwach, das Atmen fällt ihr schwer. Mühsam ringt sie nach Luft. Sie hustet. Tatjana hat bereits so viel Rauch eingeatmet, dass ihr davon ganz schwindelig wird.
Tatjana lässt Toms toten Körper hinter sich zurück und schleppt sich kriechend in Richtung Tür. Sie hat sie fast erreicht, als ihr Körper kapituliert. Zu viel Kohlenmonoxid verdrängt den Sauerstoff in ihrem Blut. Ihre Arme zittern, brechen unter ihr weg, ebenso wie ihre Beine. Tatjana verliert das Bewusstsein.
Augenblicke später kommt sie wieder zu sich. Sie spürt, wie sie über den Boden gezogen wird. Kühle, frische, aber dennoch verbrannt riechende Luft steigt ihr in die Nase. Schmerzhaft graben sich die einzelnen Stufen der Hintertreppe in ihren Rücken, als Susanne sie Stück für Stück hinunter und weg vom brennenden Haus zerrt. Tatjana schlägt die Augen auf. Ihr ist noch immer schwindlig, ihr Blick verschwommen, doch dankbar bleibt er auf Susanne liegen. Dieses tapfere Mädchen hat sich zurück in die Höhle des Löwen gewagt, um sie zu retten!
Leise, in weiter Ferne, hört sie schon die Sirenen der Einsatzfahrzeuge. Der Brand wurde bemerkt. Mühsam und zitternd richtet Tatjana sich auf. Dann schließt sie Susanne in ihre Arme, die sich immer noch schwach anfühlen.
Die junge Frau klammert sich an ihr fest und schmiegt sich eng an sie. Gemeinsam sehen sie zu, wie die Höhle des Ungeheuers samt dem Monstrum darin zu Schutt und Asche verbrennt, während die Einsatzfahrzeuge sie umkreisen.
Epilog
20. Juni 2013
Eiligen Schrittes überquert sie die Straße und hastet mit gesenktem Kopf den Gehweg entlang, durch das große, schmiedeeiserne Tor. Jede Woche geht sie diesen Weg. Ihre Arme sind heute noch schwerer beladen als sonst. Tatjana hat ihren Garten geplündert und einen besonders großen Strauß mit Sommerblumen gepflückt. Sie muss ein Stück gehen, in den neuen und weit hinten liegenden Teil des Friedhofs.
Nach etwa 10 Minuten biegt sie ab, in eine Reihe mit noch frisch wirkenden Gräbern. Vor einem Grab, das ein fein behauener Grabstein ziert, kein Kreuz, kniet sie sich nieder und legt die Blumen neben sich ab. Zuerst räumt sie den Strauß von letzter Woche weg, wirft ihn am Ende des Wegs in den Kompostbehälter und füllt die Vase mit frischem Wasser. Dann stellt sie das Gefäß zurück aufs Grab und drapiert die mitgebrachten Blumen darin, bevor sie mit der Hand über die eingelassene
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