Fieber
bißchen um den Haushalt kümmern.«
Dr. Wiley sah das Paar den Flur herunterkommen. Die offene Zuneigung der beiden und ihr gegenseitiges Verständnis beruhigten ihn.
Die Art, wie sie sich ihren Kummer eingestanden und miteinander teilten, konnte beiden nur helfen. Es war ein gutes Zeichen, und es gab ihm neuen Mut. Er lächelte, weil ihm einpassendes Wort fehlte, als sie bei ihm ankamen. Er mußte zurück in seine Praxis, in der inzwischen bestimmt das totale Chaos ausgebrochen war. Aber erst wollte er wissen, ob die beiden ihn vielleicht noch brauchten.
»Könnten Sie wohl etwas von Michelles Blutprobe entbehren?« fragte Charles. Seine Stimme klang sachlich kühl.
»Das glaube ich schon«, sagte Dr. Wiley. Charles besaß eine unheimliche Gabe, ihn durcheinanderzubringen.
»Wo kann ich sie bekommen?« fragte Charles.
»Im klinischen Labor«, antwortete Dr. Wiley.
»Schön. Dann lassen Sie uns doch gleich hingehen.« Charles wandte sich zum Fahrstuhl.
»Ich bleibe hier bei Michelle«, sagte Cathryn. »Ich rufe an, wenn es irgend etwas Neues gibt. Sonst sehen wir uns heute abend beim Essen.«
»Ist gut.« Mit entschlossenen Schritten ging er los.
Verwirrt nickte Dr. Wiley Cathryn zum Abschied zu, dann eilte er Charles hinterher. Sein gerade neugewonnenes Vertrauen in Charles war schon wieder untergraben. Offensichtlich hatte sich Charles voller Neugier etwas Neuem zugewandt. Michelles Blut? Warum nicht? Er war Arzt.
6. Kapitel
Die Flasche mit Michelles Blut in der Hand eilte Charles durch die Empfangshalle des Weinburger-Instituts. Er übersah den Gruß der schüchternen Empfangsdame und des Sicherheitsbeamten und eilte den Flur hinunter zu seinem Labor.
»Vielen Dank, daß du überhaupt noch zurückgekommen bist«, sagte Ellen spöttisch. »Vorhin hätte ich deine Hilfe gebraucht, als ich den Mäusen das Canceran injiziert habe.«
Charles beachtete sie gar nicht, sondern trug wortlos das Fläschchen mit Michelles Blut zu dem Gerät, das sie zur Trennung der Zellbestandteile von Blutproben benutzten. Er setzte sich und begann das Instrumentarium für den komplizierten Prozeß herzurichten.
Ellen bückte sich, um unter den Regalen hindurch zuCharles hinüberzusehen. Einen Augenblick beobachtete sie ihn stumm. »Hallo«, rief sie schließlich. »Ich habe gesagt, daß ich vorhin Hilfe …«
Charles schaltete die Kreiselpumpe ein.
Ein Handtuch in den feuchten Händen, um sich abzutrocknen, kam Ellen hinter dem Arbeitstisch hervor. Neugierig schaute sie, was Charles’ Aufmerksamkeit so gefangengenommen hatte. »Ich habe die erste Gruppe der Mäuse schon injiziert«, wiederholte sie, als sie nahe genug heran war.
»Großartig«, sagte Charles ohne jedes Interesse. Vorsichtig gab er einen Teil von Michelles Blut in die Maschine. Dann schaltete er sie ein.
»Was machst du da?« Ellen verfolgte aufmerksam jede seiner Bewegungen.
»Michelle hat eine myeloische Leukämie«, sagte Charles. Seine Stimme war ausgeglichen, als ob er den Wetterbericht vortrug.
»O nein!« rief Ellen entsetzt. »Charles, das tut mir wirklich leid.« Sie hätte ihn jetzt gern berührt, aber sie widerstand dem Wunsch.
»Ist das nicht erstaunlich?« lachte Charles. »Wenn die Katastrophen dieses Tages auf die Probleme hier am Institut beschränkt geblieben wären, hätte ich vielleicht nur geheult. Aber mit Michelles Krankheit ist alles ein bißchen überwältigend viel geworden. Himmelherrgott!«
Charles’ Lachen hatte hohl geklungen, aber dennoch fand Ellen es irgendwie unpassend.
»Fühlst du dich gut?« fragte Ellen.
»Ausgezeichnet«, sagte Charles. Er öffnete den kleinen Kühlschrank mit den Reagenzstoffen.
»Wie geht es Michelle?«
»Im Augenblick ganz gut. Aber sie hat keine Ahnung, was ihr noch alles bevorsteht. Ich fürchte, es wird schlimm werden.«
Ellen fehlten für einen Moment die Worte. Mit leerem Blick sah sie Charles zu, wie er den Bluttest fortsetzte. Aber schließlich hatte sie die Sprache wiedergefunden. »Was tust du da, Charles?«
»Ich habe hier eine kleine Blutprobe von Michelle. Und jetztwill ich herausfinden, ob unsere Methode zur Isolation eines Krebsantigens auch bei ihren Leukämiezellen funktioniert. Damit kann ich mir immerhin selbst vormachen, daß ich etwas tue, um ihr zu helfen.«
»O Charles«, sagte Ellen mitfühlend. Seine Art, die eigene Verletzbarkeit einzugestehen, hatte etwas Mitleiderregendes. Ellen wußte, daß Charles es nicht ertragen konnte, wenn er zur Untätigkeit
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