Fieber
Stück Fleisch auf seinen gefüllten Teller fallen.
Charles hatte noch nein sagen wollen, aber da war das Kotelett schon in der Luft gewesen. Er wandte den Kopf zur Seite und versuchte ruhig zu bleiben. Schon zu weniger nervenzermürbenden Zeiten hatte Charles seine Schwiegermutter anstrengend gefunden, zumal sie nie ihre ablehnende Haltung zu der Ehe ihrer Tochter mit einem dreizehn Jahre älteren Mann, der auch noch Vater von drei Kindern war, aufgegeben hatte. Charles hörte ein weiteres verräterisches Geräusch von seinem Teller, und als er die Augen öffnete, sah er, daß jetzt auch der Berg Fettuccini angewachsen war.
»Iß«, sagte Gina. »Du brauchst mehr Fleisch auf den Knochen.« Charles konnte sich kaum beherrschen, eine Handvoll der Fettuccini zu nehmen, um sie in die Schüssel zurückzuwerfen.
»Woher wissen die Ärzte, daß Michelle Leukämie hat?« fragte Jean Paul arglos.
Alle Augen richteten sich auf Charles, denn jeder hatte sich nur gefürchtet, die Frage zu stellen.
»Sie haben ihr Blut untersucht und ihr Knochenmark.«
»Ihr Knochenmark?« fragte Chuck, mit Ekel in der Stimme. »Wie sind sie denn an das Knochenmark gekommen, das sie untersucht haben?«
Charles starrte seinen Sohn an, überrascht, wie leicht esChuck gelang, ihn zu reizen. Den anderen mochte Chucks Frage unschuldig erscheinen, aber Charles war sicher, daß sich hinter ihr nur morbide Gedanken verbargen und nicht die Sorge um die Schwester.
»Man bekommt das Knochenmark, indem man eine große Punktiernadel in das Brustbein oder den Hüftknochen rammt und dann das Knochenmark heraussaugt«, sagte Charles brutal, in der Hoffnung, daß Chuck vielleicht durch einen Schock zu etwas Mitleid für seine Schwester zu bewegen sei.
»Huh«, sagte Chuck. »Tut das weh?«
»Fürchterlich«, antwortete Charles.
Wie ein Blitz zuckte ein unvorstellbarer Schmerz durch Cathryn und ließ sie erstarren, als ihr einfiel, daß sie ihr Einverständnis zu dem Test gegeben hatte.
»Mein Gott«, sagte Chuck. »Mit mir dürfte das keiner machen!«
»Da wär ich nicht so sicher«, sagte Charles gedankenlos. »Michelles Ärzte möchten bei euch beiden eine Gewebsbestimmung vornehmen. Vielleicht kommt einer von euch als Spender für Blutplättchen, Granulozyten in Frage. Möglicherweise sogar für eine Knochenmarktransplantation.«
»Ich bestimmt nicht!« sagte Chuck und ließ seine Gabel auf den Tisch fallen. »Niemand wird mir eine Nadel in die Knochen stechen. Auf gar keinen Fall.«
Langsam legte Charles seine Ellbogen auf den Tisch und beugte sich hinüber zu Chuck. »Ich habe dich nicht nach deiner Meinung gefragt, Charles junior. Ich habe gesagt, daß du in das Kinderkrankenhaus gehen wirst, um bei dir eine Gewebsbestimmung vornehmen zu lassen. Hast du das verstanden?«
»Darüber muß wohl nicht beim Essen gesprochen werden«, fuhr Cathryn dazwischen.
»Werden die Ärzte mir wirklich eine Nadel in einen Knochen stechen?« fragte Jean Paul.
»Charles, bitte!« sagte Cathryn heftig. »In dieser Weise kannst du nicht mit Chuck über diese Dinge sprechen!«
»Nein? Aber ich bin seine Selbstsucht nun endlich leid«, schrie Charles. »Er hat nicht ein einziges Wort des Mitleids mit Michelle hören lassen.«
»Warum gerade ich?« schrie Chuck gellend. »Warum muß ich der Spender sein? Du bist ihr Vater! Warum kannst du denn kein Spender sein? Oder ist es den großen Wissenschaftlern nicht gestattet, Knochenmark zu spenden?«
Blind vor Wut sprang Charles auf. Ein bebender Finger fuhr Chuck entgegen. »Deine Selbstsucht wird nur noch von deiner Dummheit übertroffen. Ich denke, du hast in der Schule Biologie gehabt. Du solltest wissen, daß ein Vater nur den halben Chromosomensatz an sein Kind vererbt. Deshalb komme ich nicht als Spender für Michelle in Frage. Wenn ich könnte, würde ich sogar den Platz mit ihr tauschen.«
»Bestimmt! Bestimmt!« reizte Chuck weiter. »Sagen kann man viel.«
Charles lief um den Tisch herum, aber Cathryn sprang auf und hielt ihn fest. »Charles, bitte.« Sie brach in Tränen aus. »Beruhige dich!«
Chuck saß starr auf seinem Stuhl, die Hände fest um die Kanten des Sitzes geklammert. Er wußte, daß nur noch Cathryn zwischen ihm und der drohenden Katastrophe stand.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, sagte Gina und bekreuzigte sich. »Charles! Bitte den Herrn um Vergebung. Tue nicht des Teufels Werk.«
»Oh, mein Gott!« schrie Charles. »Jetzt muß man sich hier auch noch
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