Fieber
gezwungen war. Er hatte ihr von dem schrecklichen Gefühl der Machtlosigkeit erzählt, das er empfunden hatte, als Elisabeth erkrankt war. Er hatte nur dasitzen können und zusehen, wie sie starb. Und jetzt war es Michelle!
»Ich habe beschlossen, daß wir unsere eigene Arbeit nicht unterbrechen«, sagte Charles. »Wir machen weiter, während wir an der Canceran-Studie arbeiten. Auch nachts, wenn es sein muß.«
»Aber Morrison drängt sehr darauf, daß wir uns ausschließlich mit dem Canceran beschäftigen«, sagte Ellen. »Während du fort warst, ist er extra noch einmal ins Labor gekommen, um darauf hinzuweisen.«
Einen Moment überlegte Ellen, ob sie Charles den wahren Grund von Morrisons Besuch verraten sollte, aber nach allem anderen, was passiert war, fürchtete sie sich, es zu tun.
»Nichts interessiert mich weniger als das, was Morrison sagt. Jetzt, wo Michelle krank ist, bedeutet Krebs wieder mehr für mich als nur ein metaphysisches Konzept. In unserer Arbeit stecken ganz andere Möglichkeiten als in der Entwicklung eines weiteren chemotherapeutischen Wirkstoffs. Außerdem braucht Morrison ja gar nicht zu wissen, was wir hier machen. Wir werden an dem Canceran-Projekt arbeiten, und damit wird er zufrieden sein.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob du dir genau darüber im klaren bist, wie sehr die Verwaltung auf das Canceran hofft«, sagte Ellen. »Ich halte es wirklich nicht für ratsam, sich gegen sie zu stellen, besonders nicht aus persönlichen Gründen.«
Für einen Moment saß Charles wie erstarrt, dann explodierte er. Er schlug mit der flachen Hand so heftig auf den Schieferbelag des Tisches, daß von dem Regal darüber mehrere Bechergläser herunterfielen. »Das reicht«, schrie er. »Ich habe genug von den Leuten, die mir sagen, was ich zu tunhabe. Wenn du nicht mit mir arbeiten willst, dann verschwinde aus dem Labor. Sofort.«
Damit wandte er sich abrupt wieder seiner Arbeit zu. Seine Hand fuhr nervös durch sein wirres Haar. Die nächsten Augenblicke arbeitete er schweigend vor sich hin. Dann sagte er, ohne sich umzudrehen: »Was stehst du da rum? Bring mir die radioaktiven Nukleotiden.«
Ellen ging hinüber zu dem besonders geschützten Lagerbereich radioaktiver Stoffe. Als sie das Schloß öffnete, sah sie, daß ihre Hände zitterten. Anscheinend konnte sich Charles kaum noch beherrschen. Sie fragte sich, was sie Dr. Morrison sagen sollte. Sie war sich sicher, daß sie ihm etwas sagen wollte, denn als ihre Furcht allmählich nachließ, wuchs ihr Zorn. Sie war schließlich nicht seine Dienerin.
Sie brachte die Chemikalien und stellte sie auf den Tisch.
»Danke schön«, sagte Charles einfach, als ob nichts geschehen war. »Sobald wir einige B-Lymphozyten haben, möchte ich sie mit den Nukleotiden und einigen der Leukämiezellen im Inkubator kultivieren.«
Ellen nickte. Mit diesen schnellen Stimmungsschwankungen konnte sie nicht mehr mithalten.
»Auf dem Rückweg hierher hatte ich eine Eingebung«, fuhr Charles fort. »Das größte Hindernis in unserer Arbeit ist der Blockierungsfaktor gewesen und unser Unvermögen, in dem krebstragenden Tier die Bildung von Antikörpern durch die Krebsantigene auszulösen. Dazu ist mir folgende Idee gekommen: Ich habe nach Wegen gesucht, die uns Zeit sparen können. Warum injizieren wir die Krebsantigene nicht einem verwandten, aber gesunden Tier, wo wir absolut sicher sein können, daß die Antikörperbildung einsetzt? Was hältst du davon?«
Ellen sah forschend in Charles’ Gesicht. Innerhalb von Sekunden hatte er sich aus einem blindwütigen Kind in einen ernsten Wissenschaftler verwandelt. Sie nahm an, daß dies seine Art war, mit Michelles Krankheit fertig zu werden.
Ohne auf ihre Antwort zu warten, sprach Charles weiter: »Sobald bei dem nicht krebstragenden Tier die Immunreaktion auf die Krebsantigene erfolgt ist, isolieren wir die dafür verantwortlichen T-Lymphozyten, aus ihnen filtern wir das Proteindes Übertragungsfaktors heraus und sensibilisieren mit ihm das krebstragende Tier. Es ist so fundamental einfach, ich kann gar nicht glauben, daß ich nicht schon früher darauf gekommen bin. Also … wie findest du das?«
Ellen zuckte die Schultern. Dabei hatte sie nur Angst, etwas zu sagen. Obwohl sich die zugrunde gelegte Prämisse vielversprechend anhörte, wußte sie auch, daß der mysteriöse Übertragungsfaktor bei den Tieren, mit denen sie arbeiteten, nicht besonders gut wirkte. Tatsächlich sprach er am besten beim Menschen an. Aber
Weitere Kostenlose Bücher