Fieber
Krankenhaus bleiben. Sie hielt das Thermometer mit der rechten Hand dicht an ihr Gesicht, so daß sie es sofort wieder in den Mund stecken konnte, wenn die Schwester zurückkam.
Als die Tür das nächste Mal geöffnet wurde, war es ein falscher Alarm. Michelle hatte sich das Thermometer schnell wieder unter die Zunge gesteckt, aber es war nur ein Mann in einem schmutzigen weißen Kittel, dessen Taschen mit Hunderten von Stiften vollgestopft waren. Der Mann trug einen Drahtkorb mit Reagenzgläsern, von denen jedes mit einem andersfarbigen Korken verschlossen war. Durch die Löcher im Korb hatte er ein Bündel schmaler Gummimanschetten geschlungen. Michelle wußte, was er wollte: Blut.
Ängstlich verfolgte sie, wie der Mann seine Vorbereitungen traf. Er legte ihr die Gummimanschette so fest um den Oberarm, daß ihr die Finger schmerzten. Dann wischte er ihr mit einem alkoholgetränkten Wattebausch die Armbeuge aus, genau an der Stelle, wo ihr schon am Tag zuvor Blut abgenommen worden war. Anschließend biß er die Verschlußkappe einer Nadel auf. Michelle hätte am liebsten geschrien. Doch sie wandte nur ihr Gesicht ab, um ihre Tränen zu verbergen. Die Manschette wurde ihr wieder abgenommen, was nicht weniger weh tat als das Abbinden des Arms. Sie hörte, wie ein Glasröhrchen in den Korb fiel. Dann fühlte sie einen weiteren Stich, als die Nadel ihr mit einem Ruck aus der Armbeuge gezogen wurde. Der Mann legte einen Wattepfropfen auf die Einstichstelle und bog ihren Unterarm nach oben, so daß er gegen die Watte preßte. Dann hob er seinen Korb auf und verließ das Zimmer, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben.
Michelle fühlte sich total gelähmt, in ihrem linken Arm steckte die Infusionsnadel, ihr rechter hielt den Wattebausch. Langsam ließ sie ihren rechten Unterarm zurücksinken. Der Pfropfen rollte zur Seite, und sie konnte einen kleinen roten Einstichpunkt sehen, um den sich die Haut schwarzblau verfärbt hatte.
»Da bin ich wieder«, sagte die rothaarige Schwester, als sie zur Tür hereintrat. »Jetzt wollen wir einmal nachsehen.«
Entsetzt erinnerte sich Michelle, daß sie das Thermometer noch immer im Mund hatte.
Die Schwester nahm ihr das Thermometer aus dem Mund, notierte die Temperatur und ließ es dann in einen Metallbecher auf Michelles Nachttisch fallen. »Jetzt gibt es auch gleich Frühstück«, sagte sie freundlich. Wie hoch das Fieber war, sagte sie nicht. So schnell, wie sie gekommen war, verschwand sie auch wieder.
»O bitte, Daddy, komm und hol mich nach Hause«, sagte Michelle leise vor sich hin. »Bitte, komm schnell.«
Charles spürte, wie jemand an seiner Schulter rüttelte. Er versuchte, einfach nicht darauf zu achten, weil er weiterschlafen wollte. Aber das Rütteln hörte nicht auf. Als er die Augen öffnete, sah er Cathryn, die bereits angezogen neben dem Bett stand und einen Becher mit dampfendem Kaffee in der Hand hielt. Charles stützte sich mit den Ellbogen hoch und nahm den Kaffee.
»Es ist sieben Uhr«, sagte Cathryn lächelnd.
»Sieben?« Charles sah hinüber zum Wecker. Die Zeit zu verschlafen war auch nicht der beste Weg, die eigenen Forschungen voranzutreiben, ging es ihm durch den Kopf.
»Du hat so fest geschlafen«, sagte Cathryn. Sie beugte sich zu ihm und küßte ihn auf die Stirn. »Ich hatte nicht das Herz, dich früher zu wecken. Unten wartet ein großes Frühstück auf dich.«
Charles wußte, daß sie sich alle Mühe gab, fröhlich zu klingen. »Genieß den Kaffee«, sagte Cathryn. »Gina ist sogar noch vor mir aufgestanden, um ihn zu machen.«
Charles sah auf den Becher in seiner Hand. Daß Gina noch immer da war, reizte ihn schon wieder. Er wollte ihr nicht gleich am frühen Morgen dankbar sein müssen. Aber jetzt hielt er den Kaffee einmal in der Hand, und er wußte genau, daß sie sofort fragen würde, wie er geschmeckt hatte, um sich dann daran zu weiden, daß sie schon aufgestanden war, während alle anderen noch geschlafen hatten. Charles schüttelte den Kopf. Mit solch lästigen Gedanken sollte man nicht denTag beginnen. Er trank einen Schluck Kaffee. Er war heiß, aromatisch und anregend. Er mußte zugeben, daß er ihn genoß, und er beschloß, Gina das zu sagen, bevor sie noch eine Chance hatte, danach zu fragen, und dann würde er ihr danken, daß sie vor allen anderen aufgestanden war, noch ehe sie selbst davon anfangen konnte.
Mit dem Kaffeebecher in der Hand trottete Charles den Flur hinunter zu Michelles Zimmer. Einen Moment blieb er
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