Fieber
Zähne aufeinander. »Schön«, murmelte er vor sich hin. »Du stellst dich also auf die Seite von dem Flegel … Sehr schön!«
Cathryn hatte ihre Worte im Moment, als sie sie gesprochen hatte, schon bedauert, auch wenn sie nur der Wahrheit entsprachen. Sie rückte näher an Charles heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. Sie wollte, daß er wieder zugänglicher wurde, und nicht, daß er sich noch weiter verschloß. »Was ich gesagt habe, tut mir leid. Aber du mußt begreifen, Charles, daß Chuck nicht so ist wie du. Er ist nicht so kämpferisch veranlagt und auch nicht der Schönste. Aber im Grunde ist er ein guter Junge. Es ist nur nicht so einfach, in deinem Schatten aufzuwachsen.«
Charles beobachtete seine Frau aus den Augenwinkeln.
»Ob du es wahrhaben willst oder nicht«, fuhr Cathryn fort.
»Es ist sehr schwer, deinem Beispiel zu folgen. Du bist immer erfolgreich gewesen, egal, was du auch angefangen hast.«
Charles war nicht dieser Ansicht. Er hätte ein Dutzend Geschichten runterrasseln können, in denen er fürchterlich versagt hatte. Aber darum ging es jetzt gar nicht: Es ging um Chuck.
»Ich halte ihn für selbstsüchtig und faul, und das will ich mir nicht länger bieten lassen. Seine Reaktion auf Michelles Krankheit war mehr als leicht vorauszusehen.«
»Er hat ein Recht darauf, egoistisch zu sein«, sagte Cathryn. »An der Universität hat er die letzte Gelegenheit dazu.«
»Zumindest die nutzt er weidlich aus.«
Als sie die Zufahrtsstraßen zur Stadt erreicht hatten, wurde der Verkehr immer zäher. Manchmal kamen sie nur noch zentimeterweise voran, und keiner von beiden setzte das Gespräch fort.
»Aber darüber sollten wir uns nun wirklich nicht den Kopf zerbrechen«, sagte Cathryn, wie um einen Abschluß zu finden.
»Da hast du recht«, seufzte Charles. »Und du hast recht, daß wir Chuck nicht zu dem Test zwingen sollten. Aber wenn er nicht freiwillig ins Krankenhaus geht, dann wird er lange warten können, bis ich die nächste Semesterrechnung für ihn bezahle.«
Cathryn sah Charles mißbilligend an. Wenn das kein Zwang war, dann wußte sie nicht, was es sonst sein sollte.
Obwohl zu der frühen Morgenstunde nur wenige Besucher im Krankenhaus waren, herrschte doch auf allen Fluren und Gängen rege Betriebsamkeit. Immer wieder mußten Charles und Cathryn einer Bahre ausweichen, auf der ein bettlägeriger Patient zu einer Untersuchung gefahren wurde oder zurück in sein Zimmer. Mit Charles an ihrer Seite fühlte sich Cathryn unendlich viel ruhiger. Dennoch waren ihre Handflächen feucht geworden, ein sicheres Zeichen dafür, daß ihre Angst nicht verschwunden war.
Als sie an der geschäftigen Schwesternstation der Kinderabteilung Anderson 6 vorüberkamen, sah die Oberschwester kurz auf und winkte ihnen freundlich zur Begrüßung zu. Mit schnellen Schritten trat Charles an den Informationsschalter.
»Entschuldigen Sie bitte, ich bin Dr. Martel«, sagte Charles. »Könnten Sie mir sagen, ob bei meiner Tochter bereits mit der Chemotherapie begonnen wurde?« Voller Absicht hatte er seiner Stimme einen sachlich nüchternen Ton gegeben.
»Ich glaube, ja«, sagte die Schwester. »Aber lassen Sie mich noch einmal nachschauen.«
Ein Pfleger, der an einem Schreibtisch saß, hatte ihr kurzes Gespräch mit angehört und reichte der Schwester Michelles Krankenakte.
»Gestern nachmittag hat sie zum ersten Mal Daunorubicin bekommen«, sagte die Schwester. »Heute morgen wurde ihr oral die erste Dosis Thioguanin verabreicht, und heute nachmittag bekommt sie auch ihr erstes Cytarabin.«
Jeder der Namen ließ Charles zusammenfahren, aber er zwang sich zu einem Lächeln. Er kannte die möglichen Nebenwirkungen der Medikamente nur allzu gut, und wie ein Echo hallten die Worte der Schwester in seinem Kopf nach. »Bitte«, murmelte er in sich hinein, »bitte laß sie eine Remission haben.«
Wenn sie eintreten sollte, das wußte Charles, dann mußte das kurz nach dem Beginn der Behandlung festzustellen sein. Er dankte der Schwester und ging weiter zu Michelles Zimmer. Je näher er kam, um so nervöser wurde er. Er zog seinen Schlips herunter und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes.
»Mit der Dekoration haben sie sich wirklich Mühe gegeben, um die Atmosphäre hier etwas freundlicher zu machen«, sagte Cathryn, die zum ersten Mal die Tierbilder an den Wänden bemerkte.
Vor der Tür zu Michelles Zimmer blieb Charles einen Augenblick stehen und versuchte sich zu fassen.
»Hier ist es«,
Weitere Kostenlose Bücher