Fifth Avenue--Ein Thriller (German Edition)
schnell und gründlich. Sie schaute zu Spocatti auf, der sich in der
Zwischenzeit in die geöffnete Tür gelehnt hatte. „Er ist sauber,” sagte sie.
Spocatti
warf einen Blick auf Michael und George. „Meine Güte,” sagte er. „Wenn man Sie
so ansieht, könnte man meinen, wir führen ins Leichenschauhaus und nicht zu
einer Party. Machen Sie verdammt noch mal ein anderes Gesicht.”
KAPITEL
54
Die
Musik hob an, ein heftiger Applaus folgte, und Leana schritt durch die Menge.
Sie lächelte
Menschen an, die sie nicht kannte, nickte denen zu, die plötzlich wussten, wer
sie war, und fragte sich, wo Michael nur abgeblieben sein mochte.
Sie
hatte keine Begleitung. Hunderte von lächelnden und lachenden Leuten umgaben
sie, aber noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so einsam gefühlt. Wo steckte
er? Sie hatte ihn ausdrücklich gebeten, um acht hier zu sein, damit sie sich um
halb neun gemeinsam unter die Gäste mischen konnten. Und jetzt war es schon
fast zehn, aber er war noch immer nicht da.
Und
Louis auch nicht.
Mit
Zacks Hilfe war sie gerade mit der – namentlichen! – Begrüßung der
meisten der achtzehnhundert Gäste fertig geworden; darunter zählten der
französische Botschafter, der britische Botschafter, die Gräfin Castellani und
ihr blinder Gatte, Graf Luftwick, Lady Ionesco aus Spanien sowie der
Bürgermeister und der Gouverneur von New York. Sie selbst hatte einer
handverlesenen Auswahl von Pressemitgliedern Interviews gegeben – eine
erschöpfende Aufgabe, die nicht allzu gut abgelaufen war. Alle wollten sie
wissen, weshalb sie – angesichts der Tatsache, dass ihr Vater und Louis
Ryan sich befehdeten – diese Arbeit angenommen hatte. Und alle waren sie
neugierig, ob sie ihnen irgendwelche Informationen zu Celina geben könnte.
Leana
bewältigte diesen Ansturm, wich ihren Fragen aus und konzentrierte sich
stattdessen auf das Hotel und dessen Zukunft. Aber sie war müde und genoss ihr
Hiersein nicht. Sie sah in die Menge hinein. Zumindest waren die Blumen
geliefert worden.
Sie
suchte den Raum nach Michael ab. Sie erkannte Männer, mit denen ihr Vater
einmal Geschäfte gemacht, einflussreiche Frauen, die Celina dereinst in ihren
Bann geschlagen, und Paare, die ihre Mutter vordem zum Abendessen eingeladen
hatte. Sie erblickte Alten Geldadel sowie Neues Geld, reiche Witwen und noch
viel reichere Geschiedene. Aber nirgendwo gewahrte sie Michael. Er war nicht
da.
Sie
spürte, wie jemand eine Hand auf ihren Arm legte. Leana drehte sich um und sah
Louis Ryan.
„Tanzen
wir?” fragte er.
Leana
schaute ihn verärgert an. Er trug einen schwarzen Smoking aus Seide und eine
dunkelrote Krawatte. „Wo sind Sie gewesen?” fragte sie. „Man hat nach Ihnen
gefragt. Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber: Gott sei
Dank, dass Zack hier war. Er hat mir die meisten der Namen zugeflüstert, als
ich die Gäste begrüßte. Sie haben gesagt, dass Sie schon vor Stunden hier sein
wollten. Wo sind Sie gewesen?”
„Louis
legte einen Finger auf seine Lippen. „Ich weiß, dass ich mich verspätet habe,
und es tut mir Leid. Aber ich habe eine ausgezeichnete Entschuldigung.” Er
legte eine Pause ein und sagte dann etwas leiser: „Ich habe die Person
gefunden, die Ihre Schwester ermordet hat.”
Leana
war sprachlos und konnte ihn nur anstarren. „Sie haben ihn gefunden?”
„Genau,”
sagte Louis. „Spocatti hat es geschafft. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass er
der Beste ist.”
„Wer
ist es? Wo ist er?”
„Darüber
möchte ich in dieser Menge nicht sprechen – es gibt zu viele Leute, die
mithören.” Er deutete auf den Tanzboden, wo die Gesellschaft sich im Takt drehte.
„Kommen Sie,” sagte er. „Tanzen Sie mit mir. Ich flüstere Ihnen das, was ich
weiß, ins Ohr.”
Sie
begleitete ihn auf die Tanzfläche und zögerte nur kurz, als ein Fotograf sich
ihnen in den Weg stellte, um sie abzulichten. Der Blitz ging los, der Fotograf
trat zur Seite, und als Leana an ihm vorüberging, bemerkte sie in seinem
Gesicht denselben Hunger und dieselbe Verzweiflung, die auch ihre Schwester
bemerkt haben musste, als sie sich noch in solch einer Situation befunden
hatte. Egal, wie’s drinnen in einem ausssieht: immer nur lächeln. Und nochmals
und nochmals lächeln – denn wenn man es nicht tut, dann wird das zum
Foto, welches in die Zeitungen kommt; dann wird das das Foto, welches die Leute
zerrupfen, über das sie sich beim Wasserspender unterhalten und es derart
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