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Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)

Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)

Titel: Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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Weinkrämpfen hatte.
    Erst im September zeigte sich ihre Beute.
    Quentin hatte sich verändert. Hager war er schon immer gewesen, aber jetzt sah er aus wie ein Skelett. Seine Wangen waren eingesunken, das Gesicht scharfknochig. Seine Kleider schlackerten ihm um den Körper. Sein Haar – jetzt geh doch mal zum Friseur, du bist nicht Alan Rickman – war lang und strähnig.
    Er sah richtig scheiße aus. Armer Junge! Tatsächlich glich er in seinem Aussehen Julia.
    Sie näherte sich ihm nicht sofort. Vorher musste sie sich seelisch wappnen. Jetzt, da sie ihn dort hatte, wo sie ihn haben wollte, hatte sie plötzlich Angst vor der Begegnung mit ihm. Sie gab ihren Zeitarbeitsjob auf und widmete sich ganztags Quentin. Doch sie hielt sich bedeckt.
    Jeden Vormittag gegen elf beobachtete sie, wie er in einer braunen Sporthose aus dem Haus rannte und auf einem lächerlich antiken Zehngangrad in die Stadt sprintete. Zum Glück war er völlig selbstvergessen und auf sich konzentriert, sonst wäre es ihm sicher aufgefallen, dass ihn ein roter Honda mit Todesröcheln auf Schritt und Tritt verfolgte. Da war er, der lebende, atmende forensische Beweis von allem, was sie sich je gewünscht hatte. Wenn er ihr nicht helfen konnte oder wollte, wäre alles vorbei. Dann hätte sie zwei Jahre ihres Lebens umsonst geopfert. Die Angst davor lähmte sie, doch mit jedem Tag, den sie verstreichen ließ, wuchs das Risiko, dass er wieder verschwand. Dann konnte sie wieder von vorn anfangen.
    Julia hatte sich in den Gedanken verrannt, dass sie mit ihm schlafen würde, wenn es darauf ankäme. Sie wusste, was er für sie empfand. Er hätte alles dafür getan, mit ihr zu schlafen. Es war eine verzweifelte Maßnahme, aber sie würde funktionieren. Hundertprozentig. Sie würde aufs Ganze gehen. Buchstäblich.
    Wer weiß, vielleicht wäre es gar nicht so übel. Zweifellos anders als die gekonnt durchgeturnten Gymnastikübungen von James. Sie wusste schon gar nicht mehr, warum sie so entschlossen gewesen war, Quentin nicht zu mögen. Vielleicht war er tatsächlich der Richtige für sie. Schwer zu sagen, zu sehr war alles miteinander verstrickt, und außerdem hatte sie keine Übung mehr darin, Gefühle für andere zu empfinden. Es war schon lange her, dass jemand sie überhaupt berührt hatte. Der Letzte war der Tierpfleger im Badezimmer gewesen – und das war größtenteils krampfhaftes, bekleidetes Petting mit rein klinischer Absicht gewesen. Der Patient hatte unter dem Messer gezappelt, während sie die Operation durchgeführt hatte. Julia hatte den Bezug zu ihrem Körper und zu Vergnügungen jeglicher Art verloren. Doktor Julia stellte fest – nur für die Akten –, dass es schon unheimlich war, wie lieblos sie geworden war und wie unliebenswert. Sie hatte all dieses Zeug weggeschlossen und den Schlüssel eingeschmolzen.
    In einem Friedhof hinter einer Kirche, auf den sich Quentin zum Grübeln zurückgezogen hatte, stellte sie ihm die Falle. Im Nachhinein war sie stolz auf sich. Sie hätte beinahe die Nerven verloren, beherrschte sich aber. Sie zog es durch. Sie sagte ihren Part auf, bewahrte ihren Stolz und zeigte ihm, dass sie in jeder Hinsicht genauso gut war wie er. Sie lieferte ihm schlagende Argumente. Sie demonstrierte ihm sogar den Zauber, den mit den Regenbogenspuren, den sie in den vergangenen sechs Monaten bis zur Perfektion geübt hatte. Sogar diese mörderischen Handpositionen, sogar die mit den Daumen, beherrschte sie mit eiskalter Präzision. Sie hatte das nie zuvor jemandem gezeigt und genoss es, endlich ein Publikum damit begeistern zu können. Das war ihr D-Day, und sie schlug sich wie eine tapfere Soldatin.
    Als es zum Äußersten kam, als das rote Telefon im Hauptquartier klingelte, zuckte Julia nicht mit der Wimper. O nein. Sie nahm den Anruf an. Wenn es das war, was sie tun musste, sie würde es tun, Schwester.
    Doch dann geschah etwas Überraschendes: Er wollte nicht. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie bot sich ihm an, so unverhohlen sie konnte. Sie spießte sich auf den Angelhaken und schaukelte vor seiner Nase hin und her, rosa und zappelnd, aber er biss nicht an. Julia wusste, dass sie sich äußerlich ein bisschen hatte gehen lassen, aber trotzdem. Was sollte das? Es war völlig unerklärlich.
    Das Problem war nicht sie, sondern er. Irgendetwas oder irgendjemand hatte ihn erobert. Er war nicht mehr der Quentin, den sie gekannt hatte. Seltsam: Sie hatte fast vergessen, wie sehr sich Menschen verändern konnten. Für

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