Fillory - Die Zauberer
in jedem der größten Flüsse überall auf der Welt. Da sie klug und nahezu unsterblich waren, speicherten sie alle Arten von abseitigen Informationsfetzen. Der Themsedrache war nicht so gesellig wie der Gangesdrache, der Mississippidrache oder der Newadrache, aber angeblich war er viel klüger und interessanter. Der Hudson River besaß einen eigenen Drachen, der die meiste Zeit zusammengerollt in einem tiefen, schattigen Strudel weniger als eine Meile vom Brakebills-Bootshaus entfernt lebte. Schon seit fast einem Jahrhundert war er nicht mehr gesehen worden. Der größte und älteste bekannte war ein kolossaler weißer Drache, der in einem riesigen Süßwasserreservoir unter der Eiskappe des Südpols kauerte. Seit Beginn der Geschichtsschreibung hatte er mit niemandem gesprochen, nicht einmal mit seinen Artgenossen.
»Glaubst du wirklich, der Themsedrache würde dir kostenlose Karriereratschläge erteilen?«, fragte Josh.
»Keine Ahnung«, antwortete Eliot. »Drachen sind komisch in dieser Hinsicht. Man möchte ihnen so gerne tiefschürfende, ernste Fragen stellen, etwa, wo die Magie herkommt oder ob es Außerirdirsche gibt, oder welches die nächsten zehn Mersenne-Primzahlen sind, aber meistens wollen sie einfach nur chinesische Dame spielen.«
»Ich liebe chinesische Dame!«, sagte Janet.
»Na ja, dann solltest vielleicht lieber du zum Themsedrachen gehen«, versetzte Eliot gereizt.
»Vielleicht mache ich das auch«, erwiderte sie fröhlich. »Wir hätten bestimmt viel zu besprechen.«
Quentin hatte das Gefühl, dass die Physiker sich alle ineinander verliebten. Nicht nur er und Alice, sondern alle, die gerade beisammen waren. Morgens schliefen sie lange. Nachmittags unternahmen sie Bootsausflüge auf dem Hudson, interpretierten gegenseitig ihre Träume und debattierten über unwichtige Einzelheiten magischer Techniken. Sie diskutierten über die unterschiedliche Intensität und Ausprägung ihrer Kater. Es gab einen eifrig ausgefochtenen Wettbewerb um die langweiligste Beobachtung.
Josh brachte sich selbst bei, das alte Westernklavier im Flur oben zu spielen, und sie lagen auf der Wiese und hörten zu, wie er zigmal hintereinander stockend »Heart and Soul« übte. Es hätte nervtötend sein müssen, aber irgendwie war es das nicht.
Bis dahin hatten sie sich längst mit Chambers, dem Butler, verbündet, der sie regelmäßig mit ganz besonderen Flaschen aus den Weinkellern von Brakebills versorgte. Die waren sowieso hoffnungslos überfüllt, und viele Weine mussten getrunken werden. Eliot war der einzige echte Weinkenner unter ihnen, und er versuchte, den anderen auf diesem Gebiet etwas beizubringen. Quentin konnte jedoch kaum Alkohol vertragen und lehnte es prinzipiell ab, den Wein wieder auszuspucken. So beließ er es dabei, sich jeden Abend zu betrinken, vergaß alles, was er hätte lernen sollen, und musste am nächsten Abend quasi von vorn anfangen. Jeden Morgen beim Aufwachen glaubte er, nie wieder einen Tropfen Alkohol trinken zu können, aber diese Überzeugung war stets gegen fünf Uhr nachmittags wieder verflogen.
EMILY GREENSTREET
Eines Nachmittags saßen sie alle fünf im Schneidersitz im Kreis, inmitten der weiten Einsamkeit des Meeres. Es war ein glühend heißer Sommertag und sie waren ausgezogen, um einen wahnsinnig komplizierten kollektiven Zauber auszuprobieren, einen Fünfpersonenzauber, der – wenn er wirkte – für einige Stunden ihre Augen und Ohren schärfen und ihren Körper stärken sollte. Es war Wikingermagie, Kriegerzauber für Überfälle, die, soweit sie wussten, seit etwa tausend Jahren niemand mehr angewandt hatte. Josh, der die Übung leitete, gestand, dass er sich nicht sicher sei, ob die Sache überhaupt je funktioniert habe. Die Wikinger-Schamanen seien berüchtigt für ihre Prahlerei gewesen.
Schon beim Mittagessen hatten sie angefangen zu trinken. Obwohl Josh gesagt hatte, gegen zwölf sei alles fertig – abgemacht, gute Zeit, lasst uns loslegen –, war es bereits vier Uhr nachmittags, als er ihnen die Handouts reichte. Es waren mehrere spiralengebundene Seiten, auf denen Josh mit Kuli in seiner sauberen, winzigen Runenschrift altnorwegische Gesänge gekritzelt hatte. Am Treffpunkt hatte er mit schwarzem Sand ein knotiges, verschlungenes Muster auf das Gras gestreut. Zu dem Zauber gehörte Gesang, und da weder Janet noch Quentin den Ton halten konnten, mussten sie dauernd lachen und wieder von vorn anfangen.
Endlich schafften sie das ganze Ritual an einem
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