Fillory - Die Zauberer
sonst hätte sie in so flachem Wasser verschwinden können? Und wie hatte sie Quentins Zauber abgewehrt? Welche Funktion hatte sie im magischen Ökosystem? Und was hatte es mit dem Horn auf sich? Alice blätterte bereits ihre zerlesenen Fillory-Taschenbücher durch, auf der Suche nach einem Hinweis darauf. Hatte Martin nicht im ersten Buch ein magisches Horn gefunden …?
Nach einer Weile wurde ihnen bewusst, dass sie seit einer Dreiviertelstunde draußen waren, nur mit Jeans und Pullis bekleidet, mitten im tiefsten Winter. Sogar Janet gab zu, dass es Zeit wurde, in die Stadt zurückzukehren. Eliot trieb die Quatschtanten und Bummler zusammen und am Ufer des Flusses fassten sich alle an den Händen.
Sie bildeten einen Kreis, immer noch ein wenig aufgekratzt, und für einen Moment wechselten sie glückliche, einvernehmliche Blicke. Es gab zwar ein paar tiefgehende persönliche Probleme, aber die mussten ihnen doch nicht alles verderben, oder? Das hier war wirklich wichtig, darauf hatten sie alle ihr Leben lang gewartet, danach hatten sie gesucht – hierfür waren sie geschaffen! Sie hatten die magische Tür gefunden, den versteckten Weg durch den geheimen Garten. Sie hatten etwas ganz Neues entdeckt, ein wahres Abenteuer, und dabei standen sie erst am Anfang!
In diesem Augenblick des Innehaltens hörten sie es zum ersten Mal – ein trockenes, rhythmisches Ticken. Fast wurde es vom Murmeln des Baches übertönt, aber es klang immer lauter und deutlicher. Einer nach dem anderen schwieg und lauschte. Der Schneefall war heftiger geworden.
Aus dem Zusammenhang gerissen war das Geräusch schwer zu interpretieren. Alice war die Erste, die es erkannte.
»Das ist eine Uhr«, sagte sie. »Da tickt eine Uhr!«
Ungeduldig sah sie die anderen an.
»Eine Uhr!«, wiederholte sie, jetzt mit Panik in der Stimme. »Die Wächterin, das ist die Wächterin!«
Hastig suchte Penny nach dem Knopf. Das Ticktack wurde immer lauter, wie der Schlag eines monströsen Herzens. Es kam aus nächster Nähe, und dennoch konnte man die Richtung unmöglich feststellen. Aber dann spielte es keine Rolle mehr, denn sie trieben alle durch kaltes, klares Wasser hinauf in Richtung Sicherheit.
Diesmal war es reine Routine. Zurück in der Stadt suchten sie die Winterausrüstung zusammen, alle außer Janet, die kraftlos am Boden lag und sich mit Yoga-Atmung half. Anschließend stiegen sie gleich wieder in den Brunnen und reichten sich in einer mittlerweile geübten Geste die Hände. Janet brachte die Energie auf, einen Witz über Anita Ekberg in La Dolce Vita zu machen. Alle nickten einmal in die Runde und ließen sich dann gemeinsam wieder fallen.
Sie gelangten zurück nach Fillory und landeten neben dem Fluss, den sie soeben verlassen hatten, aber der Schnee war verschwunden. Diesmal waren sie an einem Tag im Frühherbst angekommen. Laue Dunstschleier hingen in der Luft und die Temperatur lag um die zwanzig Grad. Es war wie bei einer Zeitrafferaufnahme: Die Äste der Bäume, die noch vor fünf Minuten kahl gewesen waren, waren nun mit Herbstlaub bedeckt, das sich im Wind bewegte. Ein goldenes Blatt schwebte hoch oben am grauen Himmel, getragen von einem zufälligen Aufwind. Von unten sah es winzig klein aus. Auf dem Gras glitzerten glasklare Pfützen. Noch vor wenigen Minuten musste ein heftiger Herbstschauer niedergeprasselt sein. Sie standen in der milden Luft, ihre Bündel mit Parkas und Wollhandschuhen in den Armen, und kamen sich blöd vor.
»Mal wieder overdressed«, seufzte Eliot und ließ verächtlich sein Bündel fallen. »Scheint irgendwie mein Schicksal zu sein.«
Niemandem fiel eine bessere Alternative ein, als die Winterausrüstung einfach hier im nassen Gras liegenzulassen. Sie hätten in die Nirgendlande zurückkehren und sie dort lagern können, aber wer weiß, ob sie dann nicht wieder mitten im Winter gelandet wären. Es schien lächerlich, ein Fehler im System, aber sie machten sich nichts daraus, sie waren jetzt mit Feuereifer dabei. Sie füllten ihre Feldflaschen im Fluss.
Etwa fünfzig Meter flussabwärts spannte sich eine Brücke über den Fluss, ein sanfter Bogen aus raffiniert verschnörkeltem, fillorischem Schmiedeeisen. Quentin war sich sicher, dass sie eben noch nicht da gewesen war, doch Richard erwiderte dickköpfig, sie hätten sie durch die schneebedeckten Äste nur nicht gesehen. Quentin blickte auf das fließende, plätschernde Wasser. Von der Nymphe keine Spur. Er fragte sich, wie viel Zeit vergangen war,
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