Fillory - Die Zauberer
legte nur den Kopf auf das Pult und verbarg das Gesicht in der Ellbogenbeuge. Er lag in der Dunkelheit und spürte, wie das Blut in seinem Gesicht pochte. Der Holztisch fühlte sich kühl an seiner Wange an. Es war kein Zufallstreffer, kein Schwindel und kein Witz gewesen. Er hatte es geschafft. Magie gab es wirklich und er konnte zaubern.
Und jetzt, wo er es konnte, mein Gott, was ergaben sich daraus für Möglichkeiten!
Die Glasmurmel sollte Quentin das ganze Semester über begleiten. Sie repräsentierte das kalte, erbarmungslose Herz von Professor Marchs Methode der Magischen Pädagogik. Jede Vorlesung, jede Übung, jede Demonstration drehte sich darum, wie man eine Glasmurmel mit Hilfe von Zauberei manipulieren und verändern konnte. Für die nächsten vier Monate musste Quentin sie ständig bei sich tragen. Er spielte damit beim Essen unter dem Tisch herum. Sie schmiegte sich in die Innentasche seines Brakebills-Jacketts. Wenn er duschte, legte er sie in die Seifenschale. Er nahm sie mit ins Bett, und wenn er überhaupt einmal schlief, träumte er von ihr.
Quentin lernte, seine Murmel abzukühlen, bis sie von Reif bedeckt war. Er bewegte sie dazu, von unsichtbaren Einflüssen gelenkt über den Tisch zu rollen. Er lernte, seine Murmel in der Luft schweben zu lassen. Er brachte sie von innen heraus zum Glühen. Da sie bereits durchsichtig war, war es leicht, sie unsichtbar zu machen. Prompt verlor er sie daraufhin und Professor March musste sie für ihn rematerialisieren. Quentin brachte seine Murmel dazu, in Wasser zu schwimmen, eine Holzbarriere zu durchdringen, einen Hinderniskurs zu durchfliegen und Eisenspäne anzuziehen wie ein Magnet. Das war Brot und Butter, die Grundlagenarbeit, das Fundament. Die dramatische Zaubervorstellung, die Quentin bei seiner Aufnahmeprüfung dargeboten hatte, egal wie glänzend und befriedigend, war eine bekannte Anomalie, eine Entladung der aufgestauten Kräfte, wie sie sich häufig bei der ersten Probe eines Zauberers manifestierte. Er würde Jahre brauchen, so sagte man ihm, ehe er noch einmal etwas Vergleichbares würde leisten können.
Inzwischen studierte Quentin auch die Geschichte der Magie, über die sogar richtige Zauberer weniger wussten, als er gedacht hätte. Es stellte sich heraus, dass die, die sich die Magie zunutze machten, seit jeher inmitten der normalen Gesellschaft lebten. Aber sie waren meist zurückgezogen und hängten ihre Fähigkeiten nicht an die große Glocke. Die herausragenden Gestalten der Magiegeschichte waren in der gewöhnlichen Welt keineswegs berühmt und bei denen, deren Zauberkunst scheinbar offensichtlich schien, war man oft auf dem Holzweg. Leonardo da Vinci, Roger Bacon, Nostradamus, John Dee, Newton – sicher, sie alle waren Zauberer verschiedener Couleur gewesen, aber mit relativ bescheidenen Fähigkeiten. Die Tatsache, dass sie in weltlichen Kreisen Berühmtheit erlangt hatten, sprach eher gegen sie. Nach den Maßstäben der Zauberergesellschaft waren sie schon an der ersten Hürde gescheitert: Sie hatten nicht den gesunden Menschenverstand besessen, ihren Kram für sich zu behalten.
Quentins zweite Hausaufgabengrundlage, Poppers Praktische Übungen für junge Zauberer, erwies sich als dünnes, großformatiges Buch, das eine Reihe schrecklich komplizierter Finger- und Stimmübungen enthielt, die stufenweise immer schwieriger und mühseliger wurden. Quentin fand heraus, dass Zaubersprüche hauptsächlich aus äußerst präzisen Handbewegungen bestanden, die von gesprochenen, gesungenen, geflüsterten oder geschrienen Beschwörungsformeln begleitet wurden. Jeder kleine Fehler in den Bewegungen oder in der Beschwörung konnte den Zauber schwächen, unwirksam machen oder verändern.
Das hier war nicht Fillory. In jedem der Fillory-Romane wurden eines oder zwei der Chatwin-Kinder von einem freundlichen Mentor unter die Fittiche genommen, der ihnen eine Fähigkeit oder ein Handwerk beibrachte. In Die Welt in den Wänden wird Martin zu einem Rittmeister und Helen zu einer Art Waldpfadfinderin, in Der fliegende Wald wird Rupert zum unfehlbaren Bogenschützen, in Das Mädchen, das die Zeit lenkte trainierte Fiona mit einem Fechtmeister und so weiter. Der Prozess des Lernens war ein nimmer endendes Fest der Verwunderung.
Das Erlernen der Zauberei dagegen war völlig anders. Es stellte sich heraus, dass es nichts Stinklangweiligeres gab, als die mächtigen und geheimnisvollen übernatürlichen Kräfte zu studieren. So, wie ein Verb dem
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