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Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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seinen magischen Studien mit dem laserartig fixierten Blick eines Mannes, der verzweifelt versucht, den Augen der anderen auszuweichen, und es bewusst vermeidet, über die wirklich wichtigen Fragen nachzudenken. Zum Beispiel darüber, was er eigentlich für Alice empfand und wer es nun gewesen war, der mit ihr Sex auf dem Eis gehabt hatte, er oder der Fuchs. Nein, stattdessen paukte er verbissen Zirkumstanzien, Ausnahmen und tausend Mnemotechniken, die ihm dabei helfen sollten, tausend triviale Informationspartikel in das weiche Gewebe seines ohnehin schon hoffnungslos übersättigten Gehirns zu brennen.
    Sie verfielen in eine kollektive Trance. Die Leere und Monotonie der Antarktis hypnotisierte sie. Der wandernde Schnee draußen gab für kurze Zeit einen niedrigen dunklen Schiefertonrücken frei, das einzige topographische Zeichen in einer gesichtslosen Welt. Die Studierenden beobachteten ihn vom Dach aus, als würden sie fernsehen. Es erinnerte Quentin an die Wüste in Die Wanderdüne  – erstaunlich, denn er hatte schon seit Ewigkeiten nicht mehr an Fillory gedacht. Quentin fragte sich, ob der Rest der Welt, sein Leben vor seinem Aufenthalt hier, nur ein gespenstischer Traum gewesen war. Wenn er sich jetzt die Erde vorstellte, sah er sie antarktisch, als habe dieser monochrome Kontinent alle anderen überwuchert wie ein eisiger Krebs.
    Er wurde ein wenig verrückt. Sie alle wurden es, obwohl es sie auf ganz unterschiedliche Arten erwischte. Einige wurden sexbesessen. Ihre höheren Funktionen waren so abgestumpft und erschöpft, dass sie zu Tieren wurden, voller Gier nach jeglicher Art von Vergnügen oder Kontakt, der keiner Worte bedurfte. Spontane Orgien waren nicht selten. Quentin stieß abends ein-, zweimal auf eine. Die Kommilitonen trafen in offenbar willkürlichen Kombinationen zusammen, in einem leeren Unterrichtsraum oder im Zimmer eines von ihnen. In einem beinahe anonymen Reigen, die weißen Uniformen mehr oder weniger abgestreift, die Augen glasig und gelangweilt, während sie aneinander zogen, streichelten und rieben, stumm. Einmal sah er Janet unter ihnen. Die Öffentlichkeit ihrer Treffen diente sowohl dem Vergnügen anderer als auch ihrem eigenen, aber Quentin nahm nie teil und sah auch nie zu. Er wandte sich ab, verächtlich und seltsam wütend. Vielleicht ärgerte er sich nur darüber, dass irgendetwas ihn davon abhielt, einfach mitzumachen. Er war über die Maßen erleichtert, Alice niemals unter den Teilnehmern zu finden.
    Die Zeit verging; jedenfalls war Quentin bewusst, dass sie theoretisch vergehen musste, obwohl er persönlich ziemlich wenig davon merkte – abgesehen von der Vielfalt an seltsamen Bärten und Schnauzern, die ihm und seinen männlichen Kommilitonen wuchsen. Wie viel er auch aß, er magerte zusehends ab. Sein Geisteszustand ging von hypnotisch zu halluzinatorisch über. Willkürliche, unbedeutende Dinge erschienen ihm plötzlich schicksalhaft bedeutungsgeladen – ein runder Kieselstein, ein Strohhalm aus einem Besen, ein dunkler Fleck auf einer weißen Wand – und verblassten Minuten später wieder. Im Unterrichtsraum sah er manchmal phantastische Kreaturen zwischen seinen Kommilitonen – eine riesige, elegante braune Stabheuschrecke, die sich an der Rückenlehne eines Stuhls festklammerte, eine überdimensionale Horneidechse mit deutschem Akzent und weiß glühendem Kopf –, doch hinterher war er sich nie ganz sicher, ob er sie sich nicht nur eingebildet hatte. Einmal glaubte er sogar, den Mann zu sehen, dessen Gesicht von einem Zweig verdeckt war. Viel länger würde er das nicht mehr aushalten.
    Dann, ganz plötzlich, erklärte Mayakowski beim Frühstück, es blieben jetzt nur zwei Wochen bis zum Semesterende und sie sollten schon einmal anfangen, gründlich über das Examen nachzudenken. Die Prüfung bestehe nur aus einer einzigen Aufgabe: von Brakebills Süd bis zum Südpol zu laufen. Die Entfernung betrage um die 500 Meilen. Weder Nahrung noch Karten oder Kleidung dürften sie mitnehmen, sondern müssten sich mit Hilfe der Magie schützen und ernähren. Fliegen sei verboten – sie müssten zu Fuß oder gar nicht gehen, in menschlicher Gestalt, also auch nicht als Pinguine oder andere, von Natur aus kälteunempfindliche Lebewesen. Zusammenarbeit war ebenfalls nicht erlaubt – sie könnten es als ein Rennen betrachten, wenn sie wollten. Ein Zeitlimit gebe es nicht, und die Prüfung sei auch nicht Pflicht.
    Zwei Wochen erschienen nicht genug, um sich

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