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Filmriss

Filmriss

Titel: Filmriss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Buettner
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ich mich in ihren Haaren festgekrallt und sie zu mir rübergezerrt. Dann hab ich ihren Kopf auf den Kicker geknallt. Es ist einfach so passiert, ohne dass ich es wollte. Ich brüllte, keine Ahnung, was. Ich stand neben mir und sah mir selbst zu. Und ich war breit.
    Auch Birte schrie laut. Wenn ich daran denke, kann ich ihren Schrei in meinem Kopf hören. In dem Moment war es aber, als wenn jemand ganz weit weg ruft. Es war laut und leise zugleich, ganz komisch. Ich konnte nicht loslassen, ich glaube, ich habe ihren Kopf noch mal auf den Kicker geknallt, vielleicht auch zweimal, keine Ahnung.
    Dann packte mich jemand und riss mich heftig zurück. Zuerst wusste ich nicht, wer es war. Ich wehrte mich, wollte einfach nicht so angefasst werden, aber mein Gegner war stärker. Natürlich war es Marlon.
    Das Erste, was ich wieder richtig gesehen habe, war Benny auf der anderen Seite des Kickertischs. Er hatte Birte im Arm. Es sah aus, als würde er sie trösten. In dem Moment wusste ich noch nicht mal, warum. Jedenfalls heulte sie. Dann bin ich in ein schwarzes Loch gefallen. Ich hab geschrien, mein Schrei zog sich immer länger.
    Auf einer Notarzttrage kam ich wieder zu mir. Das heißt, zuerst realisierte ich gar nicht, dass es eine Notarzttrage war. Ich hab mich kurz erinnert und dann gefragt, was mit Birte ist. Meine Stimme war total leise und zitterte. Ich hatte echt Panik. »Ist si e …?«
    Im selben Moment entdeckte ich sie rechts hinter dem Sanitäter. Sie hatte ein riesiges Pflaster auf der Stirn und ein kleines auf der Nase. Plötzlich war ich total froh, dass sie da stehen konnte und nicht auch auf so einem Ding lag wie ich.
    Als ich in meinem Bett aufwache, ist es halb zehn. Für einen Dienstag ist das nicht normal. Eigentlich sitze ich um diese Zeit in der Schule, und zwar schon seit einer ganzen Weile.
    Ich habe Kopfschmerzen, mein Mund ist ausgetrocknet, alles fühlt sich fremd an. Auch das Gesicht tut mir weh, es brennt und drückt überall.
    Dann allmählich dämmert es mir. Umrisse erscheinen vor meinem inneren Auge, erst noch ganz blass, dann in Farbe wie im Fernsehen. Und irgendwann weiß ich, warum mein Kopf so dröhnt und mein Gesicht so wehtut.
    Gedanken und Bilder rasen in einer Endlosschleife durch meinen Kopf: Ich sehe Frieda, total wütend, sie springt mich an wie ein Tiger und krallt sich mit beiden Händen in meinen Haaren fest. Marlons Blicke, erschrocken, der Krankenwagen, Blaulicht, der Notarzt. Dann wieder alles von vorn.
    Schwerfällig wälze ich mich hoch, geh die Treppe runter zur Küche. Es ist merkwürdig still im Haus.
    Ich rufe vom Flur aus nach meinem Vater, aber es kommt keine Antwort. Ich habe keine Ahnung, wo er ist oder warum er mich nicht geweckt hat. Das tut er sonst sogar, wenn ich krank bin. Nur um zu fragen, wie schlimm es noch ist und ob ich denn wirklich nicht zur Schule kann.
    Schule hält er für das Wichtigste überhaupt. Er selbst hat nur einen Hauptschulabschluss. Und er glaubt, dass er deshalb keine andere Arbeit findet, eine fürs ganze Jahr und nicht nur für die Saison. Auch wenn sich das jetzt ändern wird: Seine Einstellung zu Schulabschlüssen ändert sich nicht. Nach der Schule hat er keine Ausbildung gemacht. Deshalb hält er auch eine Ausbildung für wichtig. Er findet fast alles wichtig, was er selbst nicht hat.
    Er will unbedingt, dass ich Abi mache und studiere. Er möchte, dass ich Lehrerin werde oder Ingenieurin. »Die werden immer gebraucht«, sagt er.
    »Bäcker«, sage ich dann für gewöhnlich, »werden auch immer gebraucht.«
    Aber Bäckerin will ich nicht werden. Erst mal muss ich das Abi überhaupt schaffen. Zu den Überfliegern meiner Klasse gehöre ich nicht gerade.
    Ich suche meinen Vater in jedem Zimmer, aber er ist verschwunden. Auf dem Küchentisch finde ich einen Zettel: »Bin in der Gemeindeverwaltung, wegen der neuen Stelle, bin gegen Mittag zurück. Hab dich schlafen lassen. So kannst du nicht zur Schule gehen.« Hinter »Stelle« hat er ein Smiley :-) gemalt und hinter den letzten Satz ein Gesicht mit heruntergezogenen Mundwinkeln :-(.
    Nach einem Blick in den Spiegel weiß ich, was er meint. Ich sehe total lädiert aus, die beiden Pflaster als besondere Highlights in meinem Gesicht, aber der riesige blaue Fleck auf der linken Wange hat auch was. Schule geht so wirklich nicht.

9
    Friedas Tagebuch
    Inzwischen hab ich mich bei Birte entschuldigt. Es tut mir auch wirklich leid. War alles andere als okay. Schon deshalb, weil sie keine ist,

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