Filmriss
neben dem Bett. »Du hast Besuch, Birte.«
»Was für’n Besuch denn? Ich will keinen Besuch. Ich bin krank.«
»Es ist Frieda. Sie sagt, es ist wichtig. Sie sitzt unten in der Küche. Ich schick sie jetzt hoch.«
Frieda? Was will die denn hier? Und ausgerechnet heute?
Aber wenigstens brauch ich mich bei ihr nicht groß verstellen. Die kann ruhig sehen, wie es mir geht. Noch bevor ich aufstehen kann, steht sie in der Tür. Sie macht ein ziemlich verkniffenes Gesicht.
»Entschuldige«, sagt sie leise. »Tut mir leid wegen gestern.«
Ihr Blick ist auf den Boden geheftet, als ob da ihr Text stünde.
»Ist schon okay. So was passiert mal.«
Keine Ahnung, weshalb ich so tue, als könnte ich ganz locker drüber hinweggehen. Vielleicht weil es mir peinlich ist, dass sie mich so verunstalten konnte, ohne dass ich mich gewehrt habe. Dass ich noch nicht mal dran gedacht habe, mich zu wehren. Fest steht nur, dass ich nicht drüber reden will. Erst recht nicht mit ihr.
»Aber wie geht’s dir denn?«, frage ich sie. »Haben sie dich gestern im Krankenhaus behalten?«
Als ob mich das auch nur die Bohne interessieren würde! Ich ärgere mich jetzt schon, dass ich sie nicht gleich wieder weggeschickt hab. Aber jetzt steht sie nun mal in meinem Zimmer und ich muss da irgendwie durch.
»Ich war gar nicht im Krankenhaus«, sagt sie leise. »Die Sanitäter haben mich gleich nach Hause gebracht.«
»Und, schlimmer Stunk mit deinen Eltern?«
»Geht so«, sagt sie schnell. »Auf jeden Fall tut’s mir echt leid.« Sie steht da wie bestellt und nicht abgeholt. Ich glaub ihr kein Wort. Und ich weiß, dass sie das weiß. Wir sind in einer völlig hirnrissigen Situation, aber irgendwie kommen wir beide nicht mehr raus.
»Willst du dich nicht setzen?« Ich zeige auf den Schreibtischstuhl.
»Mein Vater wartet unten.«
»Wie? Er ist hier im Haus?«
»Quatsch, er sitzt im Auto. Wir wollen shoppen gehen.« Sie lächelt etwas bedeppert. Natürlich lügt sie, aber wieder entgegne ich nichts. Irgendwie tut sie mir plötzlich sogar leid, ganz schön absurd. »Ich hab ihm gesagt, dass ich mich nur kurz bei dir entschuldigen will.«
»Okay. Entschuldigt hast du dich ja jetzt.«
»Also, dann bis bald.«
»Ja, bis bald. Mach’s gut.«
»Du auch.«
Sie dreht sich noch einmal um.
»Ach, Birte?«
»Ja?«
»Echt cool von dir, dass du denen im Krankenhaus gesagt hast, du wärst bloß hingefallen.«
»Woher wissen deine Eltern eigentlich, dass du es gewesen bist?«
»Ich hab es ihnen erzählt. Ich dachte, das ist besser, als wenn sie es anderswie rauskriegen.«
»Und du weißt ja auch, dass sie locker reagieren.«
»Genau, es war nicht sehr schwer.« Sie lächelt etwas verkrampft.
»Okay«, sag ich. »Dann bis bald.«
»Ja, bis bald.«
Ich höre sie die Treppe runterrennen und unten die Haustür zuschlagen. Die ganze Zeit über hat sie mir höchstens ein- oder zweimal ins Gesicht gesehen und dann nur für eine Sekunde. Es wäre mir wichtig gewesen, dass sie mir in die Augen schaut, wenn sie sich entschuldigt. Aber das hat sie nicht geschafft.
10
Friedas Tagebuch
Seit das mit Birte passiert ist, bin ich unter der Woche kaum noch mit den anderen zusammen. Ich versuche mich auf die Schule zu konzentrieren, und zwar aus drei Gründen: Erstens verlangt das mein Vater, zweitens ist mir mein Ausraster total peinlich und drittens kann ich es immer schlechter aushalten, sie und Marlon zusammen zu sehen.
Da ich auf einer anderen Schule bin als die anderen aus der Clique, fällt es mir nicht schwer, ihnen aus dem Weg zu gehen. Freitagabends treffen wir uns weiterhin in der Hütte am Strand. Manchmal baden wir sogar noch, obwohl es dafür eigentlich längst zu kalt ist.
Vom Strand aus sieht man wie immer weit draußen die Schiffe vorbeifahren. Heute sind ein paar riesige Pötte dabei, Tanker aus aller Welt, die den großen Ölhafen ein Stück weiter südlich anlaufen, und solche, die ihn Richtung Norden wieder verlassen.
Früher haben wir immer geraten, aus welchen Ländern sie kommen, und dann mit dem Fernglas nach den Flaggen gesucht, um rauszufinden, wer richtiglag.
»China«, sagt Marlon und zeigt auf einen Tanker, der aussieht wie drei Hochhäuser zusammen und sich in erstaunlichem Tempo aufs offene Meer zubewegt.
»Griechenland«, rate ich.
»Chile«, meint Benny.
Frieda ergänzt: »Taka-Tuka-Land.«
Sie kennt das Spiel nicht. Als Benny es ihr erklärt hat, überlegt sie kurz und sagt dann: »Ich bleib bei
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