Filmriss
Karsten mit quietschenden Reifen aus.
»Jetzt sag nicht, das hast du extra gemacht!«, zischte ich ihn an.
»Na klar hab ich das.«
Keine Ahnung, ob das stimmte. Jedenfalls grinste er, so verkrampft wie immer. Am liebsten hätte ich mit den Fäusten auf ihn eingeschlagen. Doch dann hätte er gemerkt, dass ich Panik geschoben hatte. Also tat ich genauso unbeteiligt wie er selbst. Die Scheinwerfer hat er dann wieder angemacht.
Vielleicht war er auch gar nicht so besoffen, wie er tat. Vielleicht hat er nur Spaß dran zu sehen, wie wir immer besoffener werden, während er nüchtern bleibt. Manchmal hab ich den Verdacht.
Obwohl meine Hände zitterten, fuhr ich das letzte Stück selbst. Die Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen. Man muss das Gaspedal nur ganz leicht antippen und die Kiste geht ab wie ein Pfeil. Damals in Berlin bin ich auch kurz selbst gefahren. Wenn das damals ein Auto gewesen ist, dann war das hier ein Geschoss. Trotzdem schaffte ich es, die Kiste heil zurückzubringe n – mit einer völlig irren Vollbremsung am Ende. Beim Aussteigen merkte ich, dass ich tatsächlich noch lebte.
17
In der Nacht nach dieser bescheuerten Autoklau-Aktion versuche ich, besonders leise zu sein, als ich nach Hause komme. Auf keinen Fall will ich meinen Vater wecken. Ich mache kein Licht an und flieg in der Küche prompt über den ersten Stuhl, was einen Mordslärm verursacht. Die beinahe volle Teekanne fällt gleich als Nächstes vom Tisch und klatscht auf die Fliesen. Ich steh auf, segle aber sofort wieder über den umgekippten Stuhl, diesmal mit Schmackes. In einem Meer aus Tee und Scherben finde ich mich auf dem Boden wieder.
Erst allmählich spüre ich den Schmerz meinen linken Arm hinaufkriechen. Als ich das Licht anmach, wird mir schlecht. Mein Arm ist garantiert gebrochen. Der Knochen steht ein Stück raus und drückt von innen gegen die Haut. Blut ist da auch, weil direkt neben dem Bruch eine riesige Scherbe im Arm steckt. Mir wird schwindlig. Ich lass mich auf einen Stuhl fallen. Plötzlich steht mein Vater in der Tür.
»Was ist denn hier los?«, fragt er erschrocken.
Ich fang an zu heulen, er beugt sich zu mir herab, betrachtet meinen Arm näher.
»Ich glaub, ich muss ins Krankenhaus«, höre ich mich noch sagen. Im selben Moment wird mir schwarz vor Augen. Worte ohne Bedeutung fallen wie kleine schwarze Steine aus meinem Mund, dann bin ich weg.
Friedas Tagebuch
Gestern hab ich eine Mail von Marlon gekriegt, in der es nur um Birte ging. Dass sie einen Unfall hatte, im Krankenhaus ist. Mich hat er nicht mal gefragt, wie es mir geht.
Birte hat sich wohl nachts zu Hause den Arm gebrochen, keine Ahnung wie. Jedenfalls ist es ein ziemlich komplizierter Bruch, sie musste operiert werden. Natürlich haben die im Krankenhaus gemerkt, dass sie was getrunken hatte. Deshalb haben sie sie gleich dabehalten. Angeblich gab es einen Verdacht auf Alkoholvergiftung, was natürlich Unsinn ist. Die Ärzte müssen halt vor einer OP warten, bis der Patient wieder ganz nüchtern ist.
Sie hat den Ärzten erzählt, dass sie irgendwo mit Leuten gefeiert hatte, die sie nicht kannte. Das find ich echt okay, so viel Rückgrat hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Immerhin steht sie heute in der Zeitung. Ziemlich krass: »Fünfzehnjährige nach Saufgelage ins Krankenhaus eingeliefert!«
Wieder mal total übertrieben: »Saufgelage«. Aber so steht es da. Obwohl Birte diejenige von uns war, die noch am wenigsten getrunken hatte. Ihr gebrochener Arm wird nirgends erwähnt. Nur der angeblich so hohe Alkoholpegel in ihrem Blut. Ich glaube, die von der Zeitung wollen einfach Stress machen. Ist ja das große Thema überall: Jugendliche, die zu viel saufen. Die müssen eben auch sehen, dass sie ihr dämliches Blatt verkaufen, deswegen schreiben sie solche Lügen.
Wie auch immer: Geantwortet hab ich auf Marlons Mail nicht.Wenn ihn interessiert hätte, wie ich mich fühle, hätte ich nur geschrieben: Mir geht’s heute echt beschissen!
»Du gehst die Woche nicht aus dem Haus!«
»Toll, dann muss ich ja auch nicht in die Schule.«
Mein Vater entschließt sich, meine patzige Antwort nicht zu kommentieren. Natürlich hat er die Nachmittage gemeint und vor allem die Abende, zur Schule kann ich momentan sowieso nicht.
»Und nächstes Wochenende bleibst du auch hier!«
Er sieht mich nicht an, während er das sagt. Er wird auch nicht laut. Manchmal wünsche ich mir, er würde laut werden. Zum Beispiel in einem Moment wie diesem.
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