Filmriss
Vielleicht würde ich ihn dann ernster nehmen und mich mehr an das halten, was er sagt. So weiß ich jetzt schon wieder, dass nichts passieren wird, wenn ich sein Verbot ignoriere. Er kann einfach nicht wirklich streng sein mit mir, das ist sein Problem. Bei anderen kann er schon ab und zu laut werden, wenn ihm was nicht passt, aber bei mir schafft er das nicht.
An diesem Morgen macht er mir mal wieder Rührei. In einem bunt gestreiften T-Shirt steht er voll konzentriert am Herd. Manchmal frage ich mich, warum er eigentlich nach dem Tod meiner Mutter nie wieder eine Frau hatte oder zumindest nichts Festes. Was er sonst so treibt, weiß ich natürlich nicht. Jedenfalls finde ich, dass er eigentlich noch ganz gut aussieht für sein Alter. Er ist dreiundvierzig und hat noch nicht mal Fett angesetzt.
Er stellt die Pfanne auf den Tisch, setzt sich und gibt uns beiden einen großen Löffel Rührei auf den Teller. Zum Glück ist es mein rechter Arm, der im Gips steckt, da kann ich wenigstens halbwegs gut essen. Ich bin Linkshänderin.
Die Augen meines Vaters schimmern blaugrau. Manchmal denke ich, dass sie früher anders waren, tiefblau, aber das ist sicher bloß Einbildung.
Kann sich die Augenfarbe eigentlich ändern?, will ich fragen, lasse es aber dann doch bleiben.
Die Toasts springen mit einem Satz hoch. Er steht auf, um sie zu holen, und lächelt mich an. Manchmal find ich echt, dass er viel zu lieb zu mir ist. Immerhin bin ich zwei Nächte nacheinander nicht gerade nüchtern und viel zu spät nach Hause gekommen. Und dann noch mein verletzter Arm und die kaputte Teekanne. Aber trotz alldem lächelt er nur, macht mir Frühstück und ist auch noch freundlich zu mir.
Ich schnappe mir die Ketchupflasche, hau einen ordentlichen Schlag aufs Rührei und vermische beides. Ich weiß, dass er das nicht ausstehen kann, tue es aber trotzdem. Oder gerade deswegen. Aber er sagt nichts dazu. Ich glaube, er registriert es noch nicht mal. Er ist ziemlich weit weg mit seinen Gedanken.
Im Gegensatz zu gestern kann ich heute Morgen wenigstens ein bisschen was essen, es ist der zweite Morgen nach dem gebrochenen Arm. Ich knabbere an meiner trockenen Toastscheibe und trinke sogar Tee. Dann stell ich meine Frage doch: »Kann sich die Augenfarbe eines Menschen ändern?«
»Ich glaub nicht«, sagt er.
»Was glaubst du nicht?« Ich habe den Faden verloren.
»Dass Augenfarben sich einfach so ändern.«
»Ach so. Nee, ich eigentlich auch nicht.«
Er isst ein bisschen Rührei und trinkt einen Schluck Kaffee. Den Tee hat er extra für mich gemacht, für meinen Magen.
»Wieso fragst du dann?«
»Nur so. Wäre doch spannend, oder? Stell dir mal vor, man könnte das selbst bestimmen. Einen Tag blaue Augen, den anderen braune und dann grüne.«
»Ja«, sagt er unkonzentriert. »Das hätte was.«
Er stochert noch immer in seinem Essen rum, irgendwas bedrückt ihn.
»Was ist los mir dir, Birte?«, fragt er endlich.
Zum ersten Mal sieht er mir direkt in die Augen.
»Was soll denn mit mir los sein?« Ich schiebe den Teller zur Seite. Das matschige Rührei auf dem Teller sieht eklig aus.
»Seit wann trinkst du?«
Plötzlich sieht er richtig traurig aus. Ich selbst würde am liebsten auch gleich losheulen, aber das verkneife ich mir in letzter Sekunde und werd lieber wütend.
» Trinken! Wie sich das anhört. Das ist doch total übertrieben!«, zische ich ihn an.
Er lässt mich nicht mehr aus den Augen, wartet ab, was noch kommt.
»Ich hab zweimal ein bisschen zu viel getrunken, mein Got t …« Wenn ich jetzt noch heulen würde, dann höchstens vor Wut. »Das macht einen doch nicht gleich zum Säufer, verdammt!«
Er steht auf und öffnet das Küchenfenster. Er steckt sich eine Zigarette an, bläst den Qualm gegen das Sonnenlicht nach draußen. Ich sehe nur seinen schmalen Rücken, sein buntes T-Shirt, seine grau melierten, aber noch vollen Haare. Ich springe auf, um in mein Zimmer zu gehen. Das Geschirr lasse ich auf dem Tisch stehen. Auch das matschige Rührei. Ich habe schließlich nicht verlangt, dass er so viel macht. Ich habe noch nicht mal verlangt, dass er überhaupt was für mich tut.
Ich spüre, dass er eigentlich noch was sagen will, aber er hält die Klappe. Steht einfach nur da und qualmt mit seiner Zigarette in den Sonntagmorgen hinein. Ich knall die Tür hinter mir zu.
Teil 3
18
Friedas Tagebuch
Statt in die Schule ging ich heute durch die große Drehtür in die Passage. Die Herbstsonne schien durch das Glasdach
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