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Filmwissen

Filmwissen

Titel: Filmwissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Seeßlen
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ermordet wird. Nichts spricht dafür, dass diese Details sich verselbstständigten, im Gegenteil erfüllen sie ihre bestimmte Funktion nur im Rahmen der Gesamtkomposition. Um die Wirkung der bildlichen Einheit zu erhöhen, ist die Kamera ausgiebig auf Szenen gerichtet, die von einfachen, weitläufigen und erhabenen architektonischen Strukturen beherrscht werden. Bevor Siegfried und seine Lehnsmänner in Gunthers Palast einziehen, zeigt sie der Film als kleine Figuren auf einer Brücke am oberen Rand des Bildfeldes, und gerade das Größenverhältnis dieser Brücke zur unter ihr gelegenen tiefen Schlucht bestimmt die Einstellung. Auch in weiteren Kompositionen werden menschliche Wesen zu Anhängseln von Urlandsehaften oder weitläufigen Bauten.
    Als sei es mit dem Ornamentalcharakter, auf den diese Kompositionen angelegt sind, noch nicht genug, tauchen auf Mauern, Vorhängen, Decken und Gewändern noch primitive Ornamente auf. Ähnliche Muster erscheinen allerorten. Siegfrieds Tod enthält Kriemhilds ‹Falkentraum › . Die kurze Zeichentrickeinlage von Walter Ruttmann ist nichts weiter als ein Wappenzeichen, in dem zwei schwarze Falken und eine weiße Taube sich rhythmisch bewegen. Häufig formieren sich auch die Schauspieler zu Ornamenten. Eine Szene in Gunthers Halle zeigt, wie der König und sein Gefolge, Statuen gleich, in symmetrisch angeordneten Nischen sitzen. Die Kamera lässt sich keine Gelegenheit entgehen, dergleichen Figuren zu erfassen. Als Siegfried Gunther seinen ersten Besuch abstattet, wird sein Einzug in die Halle aus der Aufsicht aufgenommen, um so den ornamentalen Aspekt der Zeremonie zu enthüllen.
    Diese Muster tragen dazu bei, den Eindruck der unwiderstehlichen Macht des Schicksals zu vertiefen. Ganz bestimmte menschliche Ornamente des Films bezeichnen zudem die Allmacht der Diktatur. Diese Ornamente setzen sich aus Lehnsleuten oder Sklaven zusammen. Gunthers Männer stützen den Landungssteg, auf dem Brunhild ans Ufer geht; bis zu den Hüften im Wasser stehen sie, wie lebendige Säulen von mathematischer Berechnung. Besonders ins Auge springt das Bild der angeketteten Zwerge, die der Riesenurne, die Alberichs Schätze enthält, als dekorativer Sockel dienen. Verflucht von ihrem Herrn, verwandeln die versklavten Kreaturen sich in steinerne Figuren. So triumphiert das Ornamentale über das Menschliche auf der ganzen Linie. Absolute Autorität behauptet sich dadurch, dass sie die ihr unterworfenen Menschen zu gefälligen Mustern anordnet. Dies ist der Fall beim Nazi-Regime, das seine starken ornamentalen Neigungen durch Massenaufgebote zum Ausdruck brachte. Wann immer Hitler sich an das Volk wandte, glitt sein Blick weniger über Hunderttausende von Hörern hinweg als über ein Riesenornament, das aus hunderttausend Einzelteilen bestand. Am Triumph des Willens , dem offiziellen Nazifilm des Nürnberger Parteitags von 1934, lässt sich nachweisen, dass die Architekten der Veranstaltung zur Anordnung ihrer Massenornamente Anregungen schöpften aus den Nibelungen . Die theatralischen Trompetenbläser, pomphaften Treppenaufgänge und autoritären Muster von Menschen aus Siegfrieds Tod tauchen in dem modernen Historienfilm aus Nürnberg extrem vergrößert wieder auf.
    Die Nibelungen entfalten sich so schleppend, dass ihren Szenen die Eigenart von Standphotos zukommt. Ihr gemessener Ablauf, der das mythische Reich zu einem statischen stempelt, zielt darauf ab, die Aufmerksamkeit auf die eigentliche Handlung zu lenken. Diese innere Handlung verläuft asynchron zur Abfolge von Verrat und Mord und kommt erst in schwelenden Tiefen und unmerklich wachsenden Leidenschaften zur Entfaltung. Das Schicksal verwirklicht sich gleichermaßen in einem vegetativen Prozess .»
    Einige von Kracauers Bemerkungen treffen sicher vor allem für den Regisseur Lang zu, andere für eine «Zeitstimmung», die sich in den Filmen spiegelte, aber sicher lässt sich auch darüber nachdenken, inwieweit die Verknüpfung von Ornamentik und Macht insgesamt im Genre des Historienfilms, auch in seiner Ausprägung als Abenteuerfilm, bestimmend ist. Eine moderatere Einschätzung gibt schließlich, um noch einen dritten Ansatz zu zitieren, ein neueres Standardwerk deutscher Filmbetrachtung, Dieter Krusches und Jürgen Labenskis Film-Führer:
    «Fritz Lang wollte – nach eigenen Worten – in diesem zweiteiligen Film vier verschiedene Welten schildern: die ‹überfeinerte Kultur› der Burgunderkönige, die ‹gespensterhaft-elfische›

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