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Filmwissen

Filmwissen

Titel: Filmwissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Seeßlen
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schaffen, das wie das Nibelungenlied als wahres Zeugnis des deutschen Geistes Geltung hätte. Kurz, Lang erklärte diesen Film zu einem nationalen Dokument, das geeignet sei, für die deutsche Kultur in der ganzen Welt zu werben. Seine ganze Erklärung liest sich wie eine Vorwegnahme Goebbelsscher Propaganda.
    Obwohl der Film Die Nibelungen völlig vom Ring der Nibelungen abweicht, kann niemand der reichlich verwickelten Handlung folgen, ohne auf Wagnersche Leitmotive gestoßen zu werden. In Siegfrieds Tod , dem ersten Teil des Films, durchläuft der Held die Abenteuer mit dem Drachen und Alberich, begibt sich dann zum Hof von Burgund, um dort um Kriemhild, die Schwester des Königs Gunther, zu werben. Hagen dagegen, des Königs finsterer Vertrauter, stellt die Bedingung, dass Siegfried, ehe er Kriemhild heiratet, Gunther zur Hand geht, die stolze Brunhild zu bezwingen. Siegfried willigt ein und bringt Brunhild, durch Trug seiner Tarnkappe, dazu, Gunthers Frau zu werden. Die Folgen sind allgemein bekannt: als Brunhild durch Kriemhild von diesem betrügerischen Tausch erfährt, verlangt sie Siegfrieds Tod, und Hagen heckt den Plan aus, den Helden zu töten. An der Bahre ihres Mannes schwört Kriemhild Rache. Kriemhilds Rache , der zweite Teil des Films, schildert ihre Hochzeit mit Etzel, dem König der barbarischen Hunnen, und wie sie ihn dazu überredet, Gunther zu einem Besuch bei ihnen einzuladen. Kaum ist Gunther eingetroffen, hetzt Kriemhild die Hunnen auf, ihn und sein Gefolge anzugreifen. Folgt ein schreckliches Gemetzel, bei dem die Burgunder in einer Halle eingeschlossen werden, die auf Etzels Geheiß in Brand gesteckt wird. Das Ende ist eine Vernichtungsorgie: Kriemhild erschlägt Gunther und Hagen, wird dann selbst getötet, und Etzel, ihre Leiche in seinen Armen, wird unter den Trümmern der brennenden Halle begraben.
    In einem Artikel zu den Nibelungen merkte Thea von Harbou an, dass ihre Filmfassung ‹die Unerbittlichkeit, mit der die erste Schuld die letzte Sühne nach sich zieht › , unterstreichen sollte. In Der müde Tod bekundet sich das Schicksal durch das Handeln der Tyrannen; in den Nibelungen durch die anarchischen Ausbrüche unkontrollierbarer Triebe und Leidenschaften. Um das Verderben, das derlei Impulse auslösen, als schicksalsnotwendig auszugeben, verknüpft die Handlung aufs engste Ursachen und Wirkungen. Vom Augenblick, in dem der sterbende Drache durch ein Zucken seines Schwanzes das berühmte Blatt auf Siegfrieds Rücken fallen lässt, bis hin zum Augenblick von Etzels selbstverhängtem Tod scheint nichts dem bloßen Zufall überlassen. Eine innere Notwendigkeit hat den verhängnisvollen Ablauf von Liebe, Hass, Eifersucht und Rachedurst vorherbestimmt. Schrittmacher des Schicksals ist Hagen, dessen finstere Erscheinung hinreicht, um jegliches Glück, das ins Unvermeidliche eingreifen könnte, zu unterbinden. Nach außen hin ist er nicht mehr als Gunthers ergebener Lehnsmann, doch verrät sein ganzes Verhalten, dass seine treue Ergebenheit von einer nihilistischen Lust auf Macht motiviert ist. Diese Filmfigur, auf die schon der Schatten eines allzu bekannten Schlages von Nazi-Führern fällt, erhöht die mythische Kompaktheit der Nibelungenwelt – eine Kompaktheit, die der Aufklärung oder christlicher Wahrheit unzugänglich bleibt. Der Dom zu Worms, der in Siegfrieds Tod ziemlich häufig eingeblendet wird, bleibt bedeutungslose Folie.
    Diese schicksalsbestimmte Handlung nimmt Gestalt in Szenen an, die, wie es scheint, nach Gemälden verflossener Zeit inszeniert sind. Die Szene, in der Siegfried zu Pferd, auf Studiogelände, durch heroische Wälder reitet, erinnert lebhaft an Böcklins Bild Der Große Pan . Erstaunlich. dass diese Bilder, trotz ihres etwas altmodischen Geschmacks – der schon 1924 aus der Mode war –, noch immer wirksam sind. Die konstruktive Strenge, die von ihnen ausgeht, mag dafür ein Grund sein. Lang wusste sehr wohl, warum er, statt auf Wagners malerischen Opernstil oder eine Art psychologischer Pantomime, auf den Bann dieser dekorativen Kompositionen setzte: sie symbolisieren das Schicksal. Der Zwang, der vom Schicksal ausgeht, findet seine ästhetische Entsprechung darin, dass alle Strukturelemente streng in den Rahmen luzider Formen eingefügt sind.
    Viele szenische Details sind kunstvoll ersonnen, wie etwa die geisterhaften Bodennebel in der Alberich-Episode, der Flammengürtel um Brunhilds Burg und die jungen Birken rings um die Quelle, an der Siegfried

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