Final Cut - Etzold, V: Final Cut
ragenden Rippen, während Hände und Füße mit Handschellen an das Bett gefesselt waren, was der Leiche den Anblick einer mittelalterlichen Märtyrerdarstellung gab. Die Brustpartie war aufgeschnitten und sämtliche Organe entnommen worden. Auf dem lederartigen Gesicht, das offenen Mundes und mit leeren Augen zur Decke starrte, schien sich noch immer ein Ausdruck des Entsetzens zu spiegeln. Am Hals war eine Öffnung zu sehen. Dunkelbraune Spritzer eingetrockneten Bluts klebten auf Teppich und Nachttisch.
Clara blickte sich um. Die Wände waren rot gestrichen. Die Jalousien waren geschlossen. An der fensterlosen Wand war ein Andreaskreuz angebracht, an das man Teilnehmer bizarrer Sadomaso-Sessions fesseln konnte. Daneben hingen ein Lederanzug, eine Peitsche, Ketten und Handschellen. Auf dem Boden standen kniehohe Lederstiefel; daneben lag eine Gasmaske.
Sadomasochismus, dachte Clara, so wie man es aus der Hardcore-Schwulenszene kennt. Sie ließ den Blick über die Einrichtung schweifen. Normalerweise töten Killer gemäß ihrer sexuellen Präferenzen. Hat Kürten eine Frau und einen Mann getötet? Ist er bisexuell?
» Das hier ist doch seine Wohnung?«, fragte sie.
Winterfeld nickte, während Philipp und Marc die drei MEK-Beamten anwiesen, die hinteren Räume noch einmal genau zu durchsuchen, um nicht in einen Hinterhalt zu geraten. Clara kannte den Vorgang. Der Beamte vor der Tür würde Wache halten und die Schutzpolizei alarmieren, um den Tatort abzuriegeln. Die Rechtsmedizin wurde verständigt, und ein Leichenwagen brach von Moabit aus auf.
»Jakob Kürten, Oranienstraße zwanzig«, wiederholte Winterfeld. »Diesmal hat er es offenbar ganz genau wissen wollen.«
Clara nickte und ging um das Bett herum. »Er hat die Leiche gleich in seiner eigenen Wohnung versteckt. Da fällt sie noch weniger auf.«
»Das heißt, er muss noch eine Wohnung haben. Und dort hält er sich womöglich auf.« Winterfelds Blick glitt über die Gegenstände an der Wand. »Hier hat er offenbar irgendwelche SM-Sessions mit nichts ahnenden Opfern veranstaltet«, fügte er hinzu. »Und eines hat er gleich hier an Ort und Stelle getötet und genauso mumifiziert wie Jasmin Peters.«
Clara trat an das Kopfende des Bettes und zeigte auf die vertrocknete Wunde am Hals der Leiche. »Tiefe Schnittverletzung an der rechten Hals-Aorta.«
»Tod durch Verbluten«, sagte Winterfeld. »Das Blut hat Kürten aufgefangen und mitgenommen. Die gleiche Vorgehensweise wie bei Jasmin Peters. Ganz klar unser Mann.«
Clara zuckte die Schultern. »Nur leider ist er nicht hier.«
Winterfeld fuhr sich durch die Haare. »Wie auch immer, wir haben ihn trotzdem. Wir kennen eine seiner Wohnungen, wir haben seine DNA, und wir kennen seinen Modus Operandi. Sobald unsere Leute die Wohnung auf den Kopf gestellt haben, wissen wir sicher noch mehr über ihn.«
»Die Gerichtsmedizin muss als Erstes feststellen, ob das hier ein Mann oder eine Frau ist«, sagte Clara. »Sollte Kürten beide Geschlechter bevorzugen und töten, wäre das ausgesprochen ungewöhnlich.«
»An diesem Kerl ist vieles ungewöhnlich«, erwiderte Winterfeld.
33.
Es war Nacht geworden. Clara schaute sich die Fotos an, die die Spurensuche vom Tatort gemacht hatte. Vom Geschlechtsorgan der Leiche war nicht mehr als ein vertrockneter Lappen übrig, doch noch bevor die DNA-Analysen ausgewertet waren, hatte die Gerichtsmedizin bei der Obduktion die Vorsteherdrüse an der Prostata lokalisiert und herausgefunden, dass es sich eindeutig um einen Mann handelte.
Serienkiller töteten gemäß ihrer sexuellen Präferenz, und Jakob Kürten machte da keine Ausnahme. Was für ein Monster, dachte Clara. Ein bisexueller Serienkiller, der Männer und Frauen tötete, war ausgesprochen selten.
Die Spurensuche hatte die gesamte Wohnung auf den Kopf gestellt und war auch dem Einwohnermeldeamt noch einmal auf die Füße getreten. Jakob Kürten war in keiner weiteren Wohnung gemeldet. Seine Eltern wohnten in Duisburg, doch die wollte man erst einmal aus dem Fall heraushalten: Man wusste nie, wie schnell Eltern sich mit ihren Kindern verbünden, auch wenn die Kinder Killer sind.
Clara hatte außerdem einen Lieferschein über chirurgische Skalpelle gefunden, mit denen Kürten seinem Opfer offenbar die Halsschlagader durchgeschnitten hatte. Die Skalpelle waren auf seinen Namen bestellt worden; die Verpackung und der Lieferschein lagen noch in der Wohnung. Kürten hatte sich beim Chirurgie-Versand als Arzt ausgegeben;
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