Finale auf Föhr
sich gegenüber Frauen den Anschein gaben, waren sie entweder in der Balzphase oder andersherum – halt!, politisch korrekt denken: sexuell gleichgeschlechtlich orientiert!
Auch drinnen in der gemütlichen, niedrigen Stube war fast alles besetzt. Am großen Tisch im Restaurant fanden sie aber noch Platz. Zwei junge blonde Mädchen, vermutlich Studentinnen, bedienten. Ein schlanker Mann im mittleren Alter, der Inhaber, stand hinter dem Tresen. Am anderen Ende des Tisches saßen ein junges, dunkelhaariges Mädchen und sein Freund. »Ach, wie kann Liebe schön sein!«, gab Carl seiner Frau mit seinem Blick zu verstehen. Sie – ebenso wortlos – machte ihm klar, dass auch sie einmal eine solche Zeit glühender, die Welt um sie herum ausschließender Liebe hatten ... Oh, oh. Aber diese unbedingten großen Gefühle, im Positiven wie im Negativen, ließen sich nicht über mehr als zwanzig Jahre retten. »Eine solche Dramatik kann ich auf Dauer nicht durchhalten«, hatte er Renata einmal gesagt. Obwohl sie es wirklich verstehen konnte, fragte sie sich bis heute, ob es wirklich klug gewesen war, das so direkt zu sagen. Denn eigentlich wollte sie schon, dass ihre Beziehung nicht in ruhiger Routine erstarrte. Sie wollte mehr Gefühl, aber natürlich keine Dramen nach dem Motto »Nicht mit dir, aber auch nicht ohne dich!«
Beide betrachteten unauffällig das junge Paar. Ja, so waren sie auch einmal gewesen. Damals, in Hamburg ... Die beiden in ihrer unbedingten Aufeinanderbezogenheit merkten nicht, dass sie beobachtet wurden. Sie mussten eher Anfang als Mitte zwanzig sein. Junge, schöne Menschen, dachte Renata ein wenig neidisch. Sie war sich ihrer heutigen, mit dem Alter zunehmenden Unzulänglichkeiten nur allzu bewusst. Die Haare, die Fältchen, das Bindegewebe ... Carl ging über die seinen mit einem Achselzucken hinweg. »Wer mich nicht liebt, wie ich bin, der hat mich nicht verdient«, pflegte er zu bemerken. Aber sie hatte ihn in Momenten, in denen er sich unbeobachtet glaubte, auch schon sein Äußeres kritisch betrachten sehen.
Ja, sie hatte auch einmal so glänzendes langes schwarzes Haar und so wundervoll glatte Haut gehabt wie die junge Frau, die sich eng an den jungen Mann schmiegte, seine beiden Hände in den ihren hielt und ihm liebevoll etwas ins Ohr flüsterte. Das reine Glück. Unberührt von langem Ehealltag, noch nicht abgeschliffen von der Erosion einer langjährigen Beziehung mit der permanenten Notwendigkeit von Kompromissen.
Sie nahmen etwas von dem Apfelkuchen, der in mächtigen Stücken mit frischer Sahne serviert wurde. Die Auswahl war nicht sehr groß, aber exquisit. Dazu gönnten sie sich den inzwischen unvermeidlichen Latte Macchiato. Natürlich im Glas ohne Henkel. Man wollte sich schließlich mal wieder die Finger verbrennen.
Eine blonde Frau im eleganten Kostüm, perfekt frisiert, vielleicht Mitte dreißig, trat an den Tisch und sagte: »Tamara?« Renata wurde aufmerksam. Was für ein eisiger Tonfall. Wenn nicht ein Unterton von Hass! Die beiden Liebenden fuhren schlagartig auseinander. Aha, diese Liebenden wollen oder dürfen sich wohl nicht in der Öffentlichkeit zeigen, stellte Renata fest. Vom Anschein her waren das keine armen Leute. Man erkannte es an der Kleidung, der Frisur, dem Schmuck, den Händen. Die Frau war definitiv reich. Und widerlich.
»Ich war noch bei Marco, den Sand aus den Haaren entfernen.« Sie schüttelte ihr Haar, aber nichts bewegte sich. Fünfzehnuhrdreißig, Apfelgarten auf Föhr, die Frisur sitzt, lästerte Renata innerlich.
»Weißt du eigentlich, wo dein Vater ist?« Die Frau kannte also Tamaras Vater, aber sie konnte doch unmöglich ihre Mutter sein!
Das junge Mädchen schüttelte den Kopf. »Vati ist mit Opa mit dem Boot raus, gestern, das weißt du doch. Die müssten eigentlich längst zurück in Wyk sein. Ruf sie doch an.«
»Dein Vater hat wie immer sein Handy ausgeschaltet. Das macht ihn wichtiger, denkt er. Dein Großvater genauso. Jedenfalls sind sie weder zu Hause noch im Hafen. Du weißt also nichts?«
Wieder Kopfschütteln. Man unterhielt sich in dieser Familie (?) offenbar knapp bis nonverbal. Den jungen Mann ignorierte die Frau vollständig.
»Ich dachte, du tust endlich mal was für dich. Stattdessen sitzt du hier mal wieder rum. In deinem Alter habe ich schon für die nächste Meisterschaft trainiert. Leih dir doch endlich mal ein Brett aus! Wir können auch gern zusammen aufs Wasser gehen. In Utersum trainieren die Surfer für die
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