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finde-mich-sofort.de (German Edition)

finde-mich-sofort.de (German Edition)

Titel: finde-mich-sofort.de (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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den kreischenden Teenies, die einer Ohnmacht bedenklich nahe geraten, wenn nur der Name ihrer Lieblings-Boygroup fällt, bis hin zu den reiferen Damen, die mit leuchtenden Augen mitklaschend ihrem Schlagerstar ihre bedingungslose Sympathie bekunden. Ich bin da keine Ausnahme und gestand mir ein, dass mich Querflöte s Musikeraura beeindruckte. Außerdem kam er wie ich aus dem Osten, und wir wussten also genau, worüber wir sprachen, wenn wir uns über die enorme Förderung von Talenten in der ehemaligen DDR unterhielten.
    Auch ich hatte jahrelang die Musikschule besucht. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als unsere Mutter, Alexandra an der einen Hand, mich an der anderen, mit uns zum Aufnahmetest ging. Wir waren gerade nach Erfurt gezogen, wo unser Vater eine neue Arbeitsstelle gefunden hatte, und wohnten in einer Neubauwohnung eines zehngeschossigen Plattenbaus auf dem Johannesplatz. So eine Wohnung, mit Spannteppich als Bodenbelag und Relaisschaltern an den Wänden, die immer summten, wenn man sie betätigte, war in den siebziger Jahren äußerst begehrt. Unsere Mutter brachte uns also zur Musikschule in Erfurts Stadtzentrum. Wir bewunderten das schöne, alte Gebäude, das direkt hinter der Barfüßerkirche stand, und fühlten uns ein wenig eingeschüchtert, als wir durch die kühlen langen Korridore schritten. Doch als wir hörten, dass wir mit dem Blockflötenspiel beginnen sollten, war es mit der Zurückhaltung vorbei. Wir protestierten. Alexandra und ich, damals fünf und sieben Jahre alt, wollten eine Ballettausbildung beginnen. Das haben wir auch durchgesetzt. Alexandra war jung und gut genug, um eine professionelle Tanzausbildung bei der berühmten Gret Palucca zu absolvieren. Ich hatte weniger Glück, mein Talent war zu spät erkannt worden. Ich musste bei den Ballettklassen der Musikschule bleiben. Aber ich habe nie vom Tanzen gelassen und in den Achtzigern schließlich als freiberufliche Tänzerin gearbeitet.
    Vorher hatte ich mein Studium der Betriebswirtschaft abgeschlossen und zunächst in Potsdam als Fachgebietsleiter des Maschinenbauhandels gearbeitet (Abteilung Halbleiter Widerstände, ich war quasi Widerstandskämpfer *lach*). Ich verdiente 600 Ostmark netto, was dazu führte, dass eine Flasche Wein am Wochenende eine überlegenswerte Investition war. Wenn ich bedenke, dass mein späteres Einkommen als Tänzerin zwischen 4000 und 6000 Mark monatlich betrug, bin ich immer noch erstaunt, wie gut man als Künstler in der DDR leben konnte.
    Mit der Wende musste ich mich, wie viele ostdeutsche Künstler, neu orientieren. Die Förderung der Theater ließ mehr und mehr nach, die Betriebe hatten keine Kulturfonds mehr, mit denen sie sonst alljährliche Betriebsfeste und große Galaprogramme finanziert hatten.
    Für Querflöte brachte die Wende keine Probleme. Er hatte sowieso schon von der klassischen Musik Abschied genommen und gründete mit Kollegen Anfang der Neunziger eine Band, die bald große Konzerthallen füllte.
    Nach dem Essen gingen Querflöte und ich in eine Bar. Ich fand seinen Humor und seine unkomplizierte Offenheit anziehend und wollte den schönen Abend nicht so früh beschließen. Natürlich fuhr nachts um drei keine S-Bahn mehr, sagte er jedenfalls. So bot ich ihm an, bei mir auf dem Sofa zu schlafen. Als wir in dieser kalten Oktobernacht zusammen durch die dunklen Potsdamer Straßen liefen, sah ich vor meinem geistigen Auge den strafenden Blick meiner Mutter. Ja, Mama, ich weiß, Sodom und Gomorrha. Dabei war alles viel harmloser, als sie vermutet hätte. Ich habe nämlich den eisernen Grundsatz, dass am ersten Abend nichts passiert. Und so war es dann auch, wir schliefen friedlich und ohne uns der Wollust anheimgegeben zu haben, liebe Mama, ein.
    Der nächste Tag begann entspannt und ausgelassen. Wir rauchten unsere Frühstückszigarette auf dem Balkon und alberten herum, Querflöte lässig am Geländer lehnend, mit verstrubbelten langen Haaren im weinroten Bademantel meiner Tochter. Auf dem Weg zu meinem Auto beobachtete uns neugierig mein Nachbar – Temperament Versicherungsvertreter –, und Querflöte stellte sich höflich vor: »Ich bin nur die Mutter!« *grins*
    Ich hatte ihm bei unserem ersten gemeinsamen Frühstück angeboten, ihn zu seinem nächsten Termin zu fahren, der sich als Mittagessen bei seiner Mutter erwies. Spontan lud er mich dazu ein. Das hatte ich ja noch nie erlebt: Ein Mann nahm mich mit zu seiner Mutter, noch bevor wir überhaupt Sex gehabt hatten.

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