Finger, Hut und Teufelsbrut
Gnadental abgesetzt, auf dem er seinen Lebensabend verbringen sollte. Zuletzt vor fünf Monaten.
»Die Besitzerin des Gnadenhofes hat ihn und seine momentane Zibbe entdeckt«, berichtete Fela. »Offenbar in Begleitung von zwei kleinen Ziegen. Otto hat eine Familie gegründet! Er wurde in einem Waldstück gesichtet und soll jetzt eingefangen werden. Mit Kind und Kegel. Ich mache Fotos für die Zeitung. Willst du mitkommen?«
»Ich kann doch unseren Kleinen nicht allein lassen«, murrte Karina. Irgendwie wuchs in ihr das Gefühl, dass das Leben an ihr vorbeizog, seit sie Mutter war.
»Musst du ja nicht. Wir nehmen ihn mit.«
»Auf eine Ziegenbockjagd?«
»Ist ja kein Löwe, der uns zerfleischen könnte. Du schnallst dir den Fratz einfach um den Bauch, und los geht’s. Ich bin in fünf Minuten oben an der Wendeplatte und hole euch ab.« Fela legte auf.
Wenn er sie bat, ihn auf einem Abenteuer zu begleiten, dann war wirklich alles wieder gut zwischen ihnen.
Karina seufzte wohlig. Sie brachte den
Figaro
oder den
Vogelhändler
zum Schweigen, wer immer da eben gerade sang. Sie hatte sich die Gesamtausgabe von Mozarts Werken für 9 Euro 99 beim Discounter gekauft und las nicht erst groß, welche der über zwanzig CDs sie in den Player schob.
Dann schnupperte sie an Fela Juniors Windel – ging noch – und packte sich und den Kleinen warm ein.
Auf zur Großwildjagd!
Was dich nicht umbringt, wird es wieder versuchen …
Die Zeiten harmonischen Kuschelns waren vorüber. MaC saß mit verschränkten Armen neben ihm im Bett und empörte sich.
»Und ich sage dir, das war er nicht!«
Seifferheld atmete tief aus. MaC hatte sich da eindeutig in etwas verrannt. »Schatz, du hast den Siegelring an seinem abgetrennten Finger doch gesehen.«
Das hatte sie nicht, nur das Foto des Siegelrings, aber für sprachliche Spitzfindigkeiten war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.
»Das will doch überhaupt gar nichts heißen!« MaC pustete sich eine ihrer herrlichen Locken aus der Stirn. Siggi hätte sie jetzt gern geküsst, den Duft ihrer Haare eingeatmet (Pfirsichshampoo) und sich dann einfach treiben lassen, aber MaC war definitiv nicht in romantischer Stimmung.
»Kommt es dir denn überhaupt nicht komisch vor, dass der Mann in den Videos andere Schuhe trägt als in echt?«
Seifferheld sah zur Zimmerdecke hoch. Stuckblumen, die sich girlandenartig in den Ecken schlängelten. »Mein Gott, ja, eine Ungereimtheit. Mehr aber auch nicht.« Ein Mann war tot, wie konnte man sich da an seinen Schuhen festbeißen? Ehrlich, Seifferheld verstand die Frauen nicht.
»Ich sage dir, da stimmt etwas nicht!« Wenn MaC redete, dann gern mit Unterstützung der Hände. Bei entsprechender Erregung konnten diese Hände durchaus auch einmal kräftig durch die Luft fahren. Und da Hände keine Augen hatten, konnten sie mitunter den jeweiligen Gesprächspartner treffen. In diesem Moment trafen sie Seifferheld, und zwar mitten auf den Solarplexus. Er schnappte nach Luft.
MaC entging das. Oder sie ignorierte es, je nachdem. »Irgendetwas ist da faul. Du wirst es sehen!«
Seifferheld war in die Röchelatmung übergegangen. Seine Marianne hatte einen knallharten Hieb am Leib.
Zwischen zwei Keuchern schüttelte er den Kopf. »Ein Mann wurde entführt und getötet. Die Schuhe spielen dabei keine Rolle. Warum sollten sie auch? Dann hat man ihm eben andere Schuhe angezogen. Was soll’s. Dahinter etwas zu vermuten ist doch hanebüchen. Das Leben ist kein Hollywoodthriller!«
Keiner von beiden, weder MaC noch Seifferheld, bemerkte, wie Onis kräftig gähnte, sich erhob, nochmals gähnte, dann seinen rosa Teddy ins Maul nahm und das Schlafzimmer verließ.
Die Stufen knarzten unter seinen Pfoten, er war ja kein Hundeleichtgewicht, aber niemand schien davon Notiz zu nehmen.
Seifferheld und MaC gingen ganz in ihrem Disput auf. Karina und ihr Spross waren auf Ziegenjagd, und Irmgard zog mit den »Bouletten« um die Häuser. Und das ziemlich erbost.
Was bildete sich dieser Hölderlein eigentlich ein? Sich tagelang tot zu stellen? Männer konnten eine Zeitlang alle Frauen zum Narren halten und manche Frauen sogar die ganze Zeit, aber niemals dieselbe Frau die ganze Zeit auf dieselbe Art und Weise. Es hatte sich ausgenarrt!
Da Irmgard eine Frau der Tat war, hatte sie sich beim Anwalt einen Termin geben lassen. Sie würde die Scheidung einreichen, jawohl. Mit dem falschen Mann zusammenzuleben war erheblich einsamer, als mit gar keinem Mann zusammenzuleben.
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