Fingermanns Rache
verschieben sich die Verhältnisse, Frau Tesic. Sie müssen vorsichtig sein.«
Marion rappelte sich auf. Entgeistert begutachtete sie den Stuhl – ein Bein war eingeknickt. Die Tür des Verhörraums schwang auf, ein Beamter stürmte herein, entschuldigte sich bei Marion, mahnte Arndt, sich zu setzen, holte einen anderen Stuhl und ließ die beiden nach Marions Aufforderung wieder allein. Marion nahm zwei Kopfschmerztabletten, Arndt beobachtete sie interessiert. Das Ganze wirkte wie ein Spuk. Marion atmete tief durch und versuchte sich auf das Verhör zu konzentrieren.
»Also, Herr Arndt, fangen wir endlich an. Dass die Vernehmung aufgezeichnet wird, ist Ihnen bewusst?«
»Heutzutage wird alles aufgezeichnet«, entgegnete Arndt und beugte sich über seinen Notizblock. Marion registrierte das Kratzen des leeren Kugelschreibers und wartete. Als das Blatt scheinbar vollgeschrieben war, riss Arndt es ab und legte es auf den Stapel leerer Blätter.
Seltsam unbeteiligt starrte Marion auf die leeren Blätter – sie waren leer wie ihr Kopf. Warum ließ sie Arndt gewähren, warum hatte sie gewartet? Marion schüttelte sich und rief sich ihren Entschluss in Erinnerung. Sie wollte doch mit dem Verhör beginnen. Gequält rang sie sich die ersten Fragen ab.
»So, Herr Arndt. Können Sie mir sagen, warum Sie ausgerechnet Fabian Flaig entführt haben? Und warum musste er so leiden? Er ist doch ein Heimkind, das ähnliche Erfahrungen wie Sie gemacht hat. Er muss Ihnen doch irgendwie nahestehen.«
Arndt nickte kaum merklich. »Nun, Frau Tesic, die erste Frage beantwortet sich beinahe von selbst: Flaig war aufgrund seiner Arbeit und seines sozialen Umfelds die Idealbesetzung. Er arbeitete bei einer auflagenstarken Zeitung, die die Lösegeldforderung, sprich die Veröffentlichung des Fortsetzungsromans, ermöglichte, und er hatte keine näheren Verwandten und Freunde, die Aufhebens um sein Verschwinden machten. Die Antwort auf die zweite Frage gestaltet sich etwas komplizierter, und da Sie in Ihrer Sicht der Dinge leider etwas beschränkt sind, wird Sie diese auch nicht recht zufriedenstellen: Fabian war in dieser Geschichte eine Figur, die sich leider als nicht interessant genug herausstellte. Deshalb blieb ihm nur noch die Opferrolle. Die Begleitumstände seiner Entführung und das mit dem Finger bedauere ich sehr. Aber was tut man nicht alles, um spannend zu bleiben.«
Verärgert fixierte Marion Arndt. Was hatte sie auch erwartet? Arndt lebte in seiner eigenen Welt, er war nicht ganz normal. Am besten, sie brachte das Verhör so schnell es ging hinter sich und legte sich dann ins Bett.
»Gut, dann vielleicht etwas Einfacheres. Warum haben Sie Frau Schorten verschont?«
»Da kann ich Ihnen schon eher weiterhelfen.« Arndt zeigte sich betont freundlich. »Rache ist eine komplizierte Angelegenheit. Man will seinem Opfer größtmögliches Leid zufügen. Bei Cora Schorten habe ich lange geglaubt, ihr Tod sei es, bis mir bewusst wurde, dass es ihr Leben ist. Das Leben an der Seite ihres Mannes. Erinnern Sie sich an ihren Blick, als Schorten sie berührte? Abscheu lag darin. Sie hasst Schorten. Seine Lebenseinstellung, seine Art, seinen Geruch, einfach alles. Aber sie ist ihm ausgeliefert, weil sie ohne ihn so gut wie mittellos ist. Wissen Sie, Cordula Schorten kann nichts. Sie hat keinen Schulabschluss und keine Lehre, aber sie lebt gern auf großem Fuß. Ohne einen Gönner ist sie aufgeschmissen. Nachdem ihr Liebhaber abhandengekommen ist, muss sie sich nun mangels Alternativen wieder mit Schorten abfinden. Und den wird sie, da bin ich mir sicher, irgendwann umbringen. Aber das Kapitel muss erst noch geschrieben werden.« Arndt lächelte und machte eine weitere Notiz.
»Frau Schortens Liebhaber, der Architekt Thomas Bauer, hat der sie entführt?«
»Bauer war eine ziemlich teure Angelegenheit. Was die alles von ihm verlangt hat. In ganz Berlin werden Sie wenige finden, die pervers genug sind, das über Jahre hinweg auszuhalten.«
»Wo finden wir Thomas Bauer? Er ist mit unbekanntem Ziel verreist.«
»Ich habe nicht gesagt, dass er an der Entführung beteiligt war. Im Übrigen ist mir egal, was Bauer macht.«
»Herr Arndt, auch für die Anstiftung zum Mord an Bakker können Sie lebenslänglich bekommen. Es wäre besser für Sie, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten würden.«
Ärgerlich verschränkte Arndt seine Arme. »Der fette Polizist hat sich selbst erdrosselt, schon vergessen? Ich erwarte ein kleines bisschen mehr
Weitere Kostenlose Bücher