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Fingermanns Rache

Fingermanns Rache

Titel: Fingermanns Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Weiglein
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Sammeln von Jazz-und Rockschallplatten aus den Sechzigern und Siebzigern, betreibe er wie ein Spießer. Dabei hielt er gerade dieses Hobby für den Beweis seiner Aufgeschlossenheit. Dass man hierbei Sorgfalt walten lassen musste, war ja wohl selbstverständlich.
    Ja, ein aufgeschlossener Konservativer, das bin ich, dachte Schorten. Aber ein Spießer auf keinen Fall.
    *
    Natürlich fuhr Bakker. Nebenbei programmierte er das Navigationsgerät. Die Luft roch nach Bakkers Rasierwasser, und aus dem Radio drang Bakkers Musik.
    »Ich frage mich, wie du es immer schaffst, dich in diese hautengen Jeans zu zwängen«, sagte er gedehnt und musterte Marion einen Augenblick zu lang.
    »Und ich frage mich, wie man auf Dauer solch eine Schrottmusik ertragen kann«, entgegnete Marion und änderte den Sender.
    Bakker murmelte etwas Unverständliches, während Marion die neue Melodie mitsummte und aus dem Seitenfenster blickte. Vor ein paar Minuten hatten sie die Bundesstraße verlassen. Die mit vielen Schlaglöchern übersäte Landstraße ließ nur eine langsame Fahrweise zu. Gemächlich zog die Landschaft vorbei. Einer lang gezogenen Allee folgten freie Felder. Die Sonne strebte ihrem Zenit entgegen, und eine alte Bäuerin fuhr langsam, aber beständig mit ihrem Fahrrad einen Feldweg entlang, der die Straße eine Zeit lang begleitete. Schön war es hier. Marion lächelte.
    »Nach zweihundert Metern rechts«, befahl die nette Stimme des Navigationsgeräts.
    »Da gibt es keine Möglichkeit abzubiegen, du Ziege.« Bakker hackte auf dem Navi herum, bis das Display nach einem Zugangscode verlangte.
    »Versuchen wir es einfach auf die alte Art. Ich frage die Frau«, sagte Marion.
    Missmutig stoppte Bakker in Höhe der Bäuerin.
    »Hallo, entschuldigen Sie. Wir wollen zum ehemaligen Kinderheim Brücke«, rief Marion der Frau zu. Diese hielt an und stellte ihr Fahrrad umständlich auf den Ständer.
    »Das Kinderheim? Da sieht es ziemlich düster aus. Das Gebäude ist eine Ruine.«
    »Und wo geht es lang?«, fragte Marion.
    Die Bäuerin beschrieb den Weg und ergänzte: »Miriam Eisen, eine ehemalige Betreuerin, wohnt ganz allein im angrenzenden Haus. Die Arme ist ein bisschen verwirrt und auf Hilfe angewiesen. Sie sollte eigentlich in ein Heim. Will sie aber nicht. Jetzt kommt eben jeden Tag der Sozialdienst und Essen auf Rädern.«
    »Können Sie etwas zur Geschichte des Kinderheims sagen?«, erkundigte sich Marion weiter.
    Die Bäuerin seufzte. »Nichts Gutes, gar nichts Gutes. Die Brückianer, so haben wir die Waisenkinder genannt, hatten es schwer. Mit uns Kindern aus dem Dorf gab es immer Streit, und im Heim waren Prügel an der Tagesordnung.«
    »Kamen noch weitere Misshandlungen vor?«
    »Man hat da so einiges gehört, aber bewiesen wurde nichts. Zumindest ist nichts an die Öffentlichkeit gelangt. Geschlossen wurde das Heim 1991. Da war das Schlimmste aber schon längst überstanden. Die unangenehmen Geschichten stammen mehr aus den fünfziger und sechziger Jahren, als der Dr. Kronthal Heimleiter war. Der hat ein strenges Regime geführt. Manche sagen zu streng. Deshalb hat man ihn auch versetzt. Aber die Sache hat seiner Karriere nicht geschadet. Er war in der Partei.«
    Marion bedankte sich und ließ sich noch den Namen der Bäuerin geben.
    »Wofür brauchst du den?«, erkundigte sich Bakker und fuhr an.
    »Weiß nicht«, entgegnete Marion.
    An einer Tankstelle bogen sie in eine Straße ein, die den Namen nicht verdient hatte. Jugendliche tummelten sich um zwei aufgemotzte Autos. Auf einem war der Schriftzug »Böhse Onkelz« zu lesen.
    Bakker schimpfte: »So sieht’s aus. Hängen an der Tanke ab und warten, bis sie irgendjemandem auf die Fresse hauen können. Die sollen was arbeiten, dann ist die Langeweile schnell verflogen.«
    »Mensch, Bakker. Hast du dich hier schon einmal umgesehen? Hier gibt es nichts außer Feldern und Bäumen. Wo, meinst du, soll die Arbeit herkommen?«
    »Dann sollen sie eben woandershin. Ich kann diesen Sozialmist nicht mehr hören. Wer Arbeit will, bekommt auch eine.«
    »Die Welt, in der du lebst, möchte ich auch mal kennenlernen.«
    »Du bist herzlichst eingeladen.« Bakker legte seine Hand auf Marions Knie.
    Marion zog ihr Bein weg und zischte: »Fass mich nie wieder an, Bakker. Sonst kann ich für nichts garantieren.«
    »Da hab ich aber Angst«, lachte Bakker.
    Das ehemalige Kinderheim stand auf einem Hügel. Ein Teil des Dachs war eingestürzt, und alle Fenster waren eingeschlagen. Die

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