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Fingermanns Rache

Fingermanns Rache

Titel: Fingermanns Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Weiglein
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lehren.«
    »Was wollen Sie nur von mir?«
    »Kennst du das Gedicht vom Fingermann?«
    Fabians Atem setzte kurz aus, sein »Nein« war Ausdruck seines Erschreckens.
    Die Stimme des Entführers näherte sich seinem Ohr und flüsterte:
    »Der Fingermann, er kommt bei Nacht
    und hat die Schere mitgebracht.
    Zieh deine Decke übern Kopf,
    versteck die Hände unterm Schopf.
    Sei ganz still und rühr dich nicht,
    der Fingermann tut seine Pflicht.
    Warst du brav, hat sich’s gelohnt,
    der Fingermann die Braven schont.«
    Fabian wand sich, mit den Händen hielt er sich die Ohren zu.
    »Du willst dich befreien«, höhnte Loki. »Nur zu.«
    Der Junge kämpfte gegen das Zittern an, das seinen ganzen Körper ergriffen hatte, und ließ die Hände sinken.
    »Es ist erbärmlich, wie sehr du dich dem Diktat deiner Angst fügst.«
    Ein Klacken drang an Fabians Ohr, dann vernahm er das Zischen einer Spraydose. Nach einer für Fabian nicht zu bestimmenden Zeit hörte er die schwere Eisentür. Er war wieder allein. Vorsichtig befreite er sich, und sein Blick fiel auf die gegenüberliegende Wand. Fluoreszierende Wörter hoben sich grünlich schimmernd vom Dunkel ab. Mahnend prangte das Gedicht vom Fingermann an der Wand.
    Loki saß vor dem Überwachungsschirm und beobachtete, wie Fabian vergeblich versuchte, das Gedicht mit einem Leintuch zu verdecken. Der Junge stammte aus einem Heim, er kannte und fürchtete das Gedicht. Dies machte ihn unberechenbar und sorgte für Spannung. Doch was, wenn er sich nicht auflehnte, was, wenn man zum Äußersten greifen musste? Loki starrte auf seine linke Hand. Auch er hatte seinen Preis bezahlt, doch für Mitleid war kein Platz. Fabian hatte seine Chance, wenn er sie nicht nutzte, war er selbst schuld.
    Eine LED -Leuchte begann zu blinken, und ein Rechner schaltete sich automatisch ein. Kurz darauf sendete der Rechner die E-Mail, die Loki am Morgen schon erstellt hatte. Jetzt würde die Polizei das zweite Lebenszeichen von Fabian erhalten und entsprechend reagieren. Sie würden sich absprechen und sich auf die Suche nach dem Kinderheim machen.
    »Achtet auf eure Finger«, flüsterte Loki und lächelte.
    Wilbur Arndt für das BERLINER TAGESGESCHEHEN . Fortsetzung folgt.
    *
    Tag fünf, Donnerstagmorgen, der 17. April
    Ein Exemplar des BERLINER TAGESGESCHEHEN s lag auf dem Schreibtisch, daneben die E-Mail des Entführers. Wilbur Arndt hielt sein Kognakglas gegen das Licht, dann leerte er es in einem Zug.
    »Betrunken nutzen Sie uns nichts«, seufzte Marion Tesic.
    »Bis ich betrunken bin, dauert’s ’ne Weile«, entgegnete Arndt.
    Karl Bakker knetete seine Hände und warf Arndt einen wütenden Blick zu, der Schorten nicht entging. Irgendwann, dachte er, rutscht Karl die Hand aus. Schorten straffte sich und ergriff das Wort.
    »Wenn wir uns die ersten beiden E-Mails des Entführers anschauen, könnte man meinen, dass er nach einer Rechtfertigung für seine Tat sucht. Ich mache das an den Stichworten Selbsterkenntnis, Selbstbestimmung und Freiheit fest.«
    »Kann schon möglich sein«, stimmte Bakker zu. »Vor allem, wenn man sein Verhalten gegenüber dem Entführten beachtet.«
    »Aber davon wissen wir doch gar nichts«, warf Marion Tesic ein. »Das hast du dem Zeitungsroman entnommen, das sind doch alles Interpretationen von Herrn Arndt. Wir sollten uns nur an die Stichwortlisten halten.«
    »Natürlich.« Bakker war sichtlich irritiert. Anscheinend fragte er sich selbst, wie er Fiktion und Wirklichkeit durcheinanderbringen konnte.
    Arndt grinste Bakker an. »Da muss man ganz schön aufpassen, nicht wahr, Herr Hauptkommissar?«
    Bakker war offensichtlich kurz davor, dem Penner das Grinsen aus dem Gesicht zu prügeln, doch ein Blick von Schorten hielt ihn zurück.
    »Auffällig ist das Gedicht vom Fingermann, Herr Arndt. Sagt Ihnen dieses Gedicht etwas?«, fragte Schorten.
    Arndt zuckte mit den Schultern.
    »Auffällig ist weiterhin die Erwähnung eines Kinderheims. Sie waren in einem solchen Heim, Herr Arndt. Ein seltsamer Zufall, oder etwa nicht?«
    »Zufälle sind das Salz des Lebens.«
    »Bitte beantworten Sie meine Frage.«
    »Erneut gab der Obdachlose zu Protokoll, dass er von nichts wisse.«
    »Sie sind nicht besonders witzig«, sagte Schorten.
    Das Telefon klingelte. Schorten nahm das Gespräch entgegen und zückte sofort seinen Kugelschreiber. »Interessant. Ja, das könnte tatsächlich eine Spur sein.« Er machte sich Notizen und fragte nach einer Telefonnummer, dann schüttelte er seinen

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