Fingermanns Rache
Treptow-Köpenick im Südosten Berlins. Das Navigationssystem lotste ihn nach Alt-Treptow vor ein modernes Mietshaus. »Hier soll es also sein«, sagte er und stieg aus.
Mendel hatte gute Arbeit geleistet. Die Adresse herauszufinden war nicht schwer, hatte er gesagt. In der Nähe sei Cordulas Friseur. Alles Weitere sei einfaches Nachfragen gewesen. Schorten rief sich die Worte Mendels ins Gedächtnis: »Anscheinend war Ihre Frau viermal in der Woche hier. Sie ging mit diesem Herrn Bauer einkaufen und ins Café. Die beiden hatten auf alle Befragten den Eindruck eines glücklichen Paares gemacht.«
Ein bitterer Zug lag auf Schortens Gesicht, als er bei Thomas Bauer klingelte. Auch nach mehrmaligem Läuten tat sich nichts. Stattdessen kam ein älterer Herr an die Haustür und öffnete.
»Herr Bauer und seine Freundin sind im Urlaub«, sagte er lächelnd. Beim Wort »Freundin« zog sich Schortens Herz zusammen.
»Kann ich mit reinkommen? Ich möchte etwas überprüfen.«
»Überprüfen?« Das Lächeln wich aus dem Gesicht des Mannes. »Eigentlich nicht so gerne. Sind Sie ein Bekannter?«
»Nein, ich bin von der Polizei.« Schorten zeigte seinen Ausweis.
»Ist was passiert? Die beiden sind immer so nett.« Die Stimme des Mannes klang ehrlich betroffen.
»Nein. Es handelt sich um eine reine Routineuntersuchung. Mehr kann ich dazu nicht mitteilen.«
Der Mann schaute skeptisch, sagte aber: »Dritter Stock rechts. Nicht zu verfehlen.«
Schorten bedankte sich und schritt eilig die Treppen hinauf. In seinem Rücken spürte er den Blick des Mannes. Vor Bauers Wohnung atmete er noch einmal tief durch. Vielleicht war es ganz gut, wenn er nicht alles wusste. Vielleicht sollte er jetzt ganz einfach nach Hause gehen. Letztendlich siegten aber seine Neugier und sein gekränkter Stolz.
Die verschlossene Tür stellte für Schorten kein Hindernis dar. Leise schloss er sie hinter sich und schaute sich um. An der Garderobe im Gang hing eine Jacke, auf einer Anrichte lagen verschiedene Zeitschriften, die Türen zu den angrenzenden Räumen waren geschlossen, durch eine milchige Scheibe fiel Licht. Schorten ging ins Wohnzimmer. Ein großer Raum, viel Glas, viel Chrom. In der Ecke stand ein schwarz glänzendes Klavier, auf dem Designersofa lagen zwei Kissen. Eines weiß, das andere schwarz. Beide glatt gestrichen und in der Mitte eine Falte. Schorten setzte sich. Sein Blick schweifte über Schränke und Borde.
Er registrierte die Bilder und die Accessoires, die Pflanzen und die sorgsam angeordneten Bücher. Das Zimmer trug eindeutig Cordulas Handschrift. Es war fast eine Kopie ihres Zuhauses, nur moderner, exklusiver. In einem plötzlichen Wutanfall fegte er die Kissen vom Sofa. Cordula gab sich immer so viel Mühe mit ihnen. Sie hasste es, wenn sie nicht an ihrem Platz lagen. Schorten vergrub das Gesicht in seinen Händen. Wie konnte sie ihm das antun? Nur mit Mühe unterdrückte er ein Schluchzen.
Aus einer Schrankschublade zog Schorten ein Fotoalbum. Er sah einen gut aussehenden Mann Anfang vierzig und Cordula. Beide lachten. Der Mann hielt sie im Arm, sie reichte ihm gerade bis zur Schulter. Ein weiteres Bild. Eine Strandbar und zwei lachende braun gebrannte Gesichter. Darunter stand: »Sommer 2009«.
Schorten überlegte: die Kur im Juni, zwei Wochen im Allgäu. Cordula hatte geschrieben, dass sie sich gut erhole, ihn aber vermissen würde. Er hatte sich damals gefragt, warum sie trotz des verregneten Sommers so braun war. Weitere Bilder folgten. Mehrere Urlaube. Zu jedem fielen Schorten Cordulas Lügen ein. Mit dem Album unterm Arm ging er zum Schlafzimmer. Seine Hand zitterte, als er sie auf die Türklinke legte. Schorten zögerte und wandte sich ab. Er konnte da nicht hineingehen.
Im Arbeitszimmer Bauers durchwühlte er sämtliche Akten. Ein Architekt, geboren 1967 in Ostberlin, anscheinend selbstständig. Gute Auftragslage. Dann die Küche. Fast neu, sehr edel. Genau so, wie Cordula sie immer haben wollte. Oft hatte sie ihm deswegen in den Ohren gelegen, oft hatte sie nach mehr Luxus verlangt. Andere würden auch Schulden machen, und die hätten nicht so ein Erbe in Aussicht. Ja, das Erbe, es war immer ein Thema. Cordula wollte nicht warten, sie lebte jetzt, sagte sie immer. Doch Schorten war konservativ, zwar war ihm das Erbe seines alten Herrn sicher, doch solange der noch lebte, war dies tabu. Geld, das einem nicht gehörte, gab man nicht aus. Es ging ihnen doch auch so gut. Sie hatten ein schönes Haus, und die
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