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Fingermanns Rache

Fingermanns Rache

Titel: Fingermanns Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Weiglein
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der Nachricht des Entführers zu entnehmen. Das Einzige, was man ihm vorwerfen kann, ist, dass er eigenmächtig den Artikel an die Zeitung weitergeleitet hat. Wie er das gemacht hat, ist allerdings auch eine interessante Frage.«
    »Dann befindet er sich noch in der Keithstraße?«
    »Wie gehabt. Er wird bewacht. Er säuft. Und er lacht sich über uns tot.«
    »Sie haben mit ihm gesprochen?«
    »Sagen wir mal so: Herr Sandt und ich haben uns ein Bild von ihm gemacht. Ein normales Gespräch ist mit diesem Menschen ja nicht möglich.« Renschs Ton war noch eine Spur aggressiver geworden, und Marion konnte sich denken, warum. Arndt hatte sie sicherlich beleidigt.
    »Ihr letzter Punkt, die beiden Fragen Schorten und die Leitung Ihrer Abteilung betreffend«, wandte Sandt ein, »war mir so gar nicht bewusst.« Er warf einen Blick auf das TAGESGESCHEHEN , das auf Renschs Schreibtisch lag. »Sie haben tatsächlich recht.« Sandt lächelte schief. »Der Entführer zeigt hellseherische Fähigkeiten.«
    Rensch blieb stumm, weil sie sich hier offensichtlich keine Blöße geben wollte. Sandt fuhr fort. »Davon sollten wir uns aber nicht zu sehr beeindrucken lassen. Die Vorwegnahme dieser Ereignisse lässt sich mit guter Menschenkenntnis erklären: Der Entführer weiß um Schortens Verhältnis zu Bakker – es ist nicht leicht, den Tod eines engen Bekannten zu verkraften – und geht von einem Rückzug Schortens aus. Da der Entführer ein Spieler ist, der für einen verblüffenden Effekt ein gewisses Risiko eingeht, lässt er diese Annahme veröffentlichen. Das Gleiche trifft auf unsere Personalentscheidung zu. Der Entführer konnte davon ausgehen, dass wir auf Erfahrung setzen und nicht Sie, Frau Tesic, mit der Leitung betrauen würden. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass dieser Entschluss bisher nur diesem kleinen Kreis bekannt ist. Er ist noch nicht offiziell. Es wäre ein Leichtes, ihn zu kippen, um den Entführer zu entzaubern. Aber das halte ich für unangemessen.«
    Sandt suchte Marions Blick, doch sie wich aus. Eigentlich hatte sie sich in einer besseren Position gesehen. Selbst die Möglichkeit, Loki vorzuführen, reichte nicht für ihre Beförderung. Anscheinend war Loki hier objektiver. Was Schorten betraf, lag Sandt falsch. Marion war sich sicher, dass sein Rückzug aus dem Fall mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun hatte. Die Trauer um Bakker hielt sich bei ihm, wie bei allen anderen, in Grenzen.
    »Wie dem auch sei«, raffte sie sich auf. »Festhalten können wir, dass der Entführer sich sehr gut bei uns auskennt. Festhalten können wir weiter, dass Mord und Entführung vom selben Täter oder derselben Tätergruppe durchgeführt wurden. Ein klares Motiv ist nicht zu erkennen.«
    »Ein Mord und eine Entführung ohne rechten Sinn. Man könnte meinen, wir hätten es mit einem Psychopathen zu tun«, fasste Sandt zusammen.
    Die Staatsanwältin nickte und wandte sich Mendel zu. »Und Sie?«, fragte sie herausfordernd. »Haben Sie eigentlich auch eine Meinung?«
    Mendel zuckte auf seinem Stuhl zusammen und stotterte: »Ich war krank.«
    »Das ist allerdings eine gute Entschuldigung. Krank war er. Vermutlich überarbeitet. Ich glaube, wir sollten die Besprechung jetzt besser beenden. Sonst werde ich krank.« Auf Renschs Stirn zeichnete sich deutlich eine Ader ab.
    Sandt erhob sich und sagte beschwichtigend: »Frau Rensch hat recht. Gehen wir an die Arbeit. Ich denke, jeder weiß, was er zu tun hat.«
    Als alle gegangen waren, blickte sie noch eine Weile auf die geschlossene Tür. Typen wie Kai Mendel hatte sie gefressen, doch Marion Tesic hasste sie. Sie hasste sie für ihre Schönheit und dafür, wie ihr die Männer zuflogen. Sie hasste sie für die Leichtigkeit, mit der sie durchs Leben ging, während sie selbst sich alles hart erkämpfen musste. Und ausgerechnet diese Person arbeitete an einem Fall, der ihre Karriere gefährden konnte. Als zukünftige Oberstaatsanwältin durfte kein dunkler Fleck an ihrem Lebenslauf haften, und selbst die Entschuldigung, dass sie damals beinahe noch ein Kind war, würde kaum ins Gewicht fallen.
    Aber noch war es nicht so weit. Bisher gab es nur den Reim vom Fingermann in der Zeitung. Niemand, außer der alten Frau Eisen, die schon damals nicht richtig tickte, hatte sich bisher gemeldet. Kein Wunder, die anderen waren froh, wenn man sie nicht behelligte. Doch was hatte es mit diesem Entführer namens Loki auf sich? Rensch knetete ihre Hände. Was er wohl mit dem Ganzen bezweckte?

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