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Fingermanns Rache

Fingermanns Rache

Titel: Fingermanns Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christof Weiglein
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Die Spuren stammten nicht von polizeibekannten Personen. Auch gab es keine Übereinstimmung mit den Fingerabdrücken Arndts, worauf Marion insgeheim gehofft hatte.
    Besonderes Augenmerk wurde auf die Mechanik, die die Stanze in Gang gesetzt hatte, gerichtet. Sie musste von einer technisch begabten Person installiert worden sein. Die einzelnen Bauteile waren zum Teil selbst gefertigt, zum Teil stammten sie aus einem Baumarkt aus der Nähe. Die Befragung der Angestellten hatte nichts gebracht. Niemand konnte die Artikel mit einem speziellen Käufer in Verbindung bringen.
    Marion rief sich das zweite Gespräch mit Miriam Eisen in Erinnerung. Nachdem Bakker und sie die Werkstatt verlassen hatten, waren sie noch einmal bei ihr erschienen. Die alte Dame hatte sie schon wieder vergessen, und die zweite Befragung unterschied sich anfangs kaum von der ersten. Als sie endlich Fragen zur Werkstatt stellen konnten, schwelgte Miriam Eisen in Erinnerungen. Erst nach geraumer Zeit erfuhren sie, dass die alte Dame niemanden beobachtet oder etwas Verdächtiges bemerkt hatte.
    Am Ende der Befragung bot sie Bakker, der sie mächtig bedrängt hatte, abermals einen Hagebuttentee an. Marion musste an die Geschichte mit dem Gift denken, und ein ungewolltes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Seitdem waren erst zwei Tage vergangen, zwei Tage, die Marion wie Jahre vorkamen. Bakker war tot, und ihr Chef hatte den Fall abgegeben. Ihre Abteilung wurde neu geordnet, und sie kannte einen der Drahtzieher, ohne ihn stellen zu können. Marion schüttelte den Kopf. Alles war so verworren, trotz etlicher Spuren und Hinweise gab es kein eindeutiges Motiv. Um die Aufmerksamkeit auf die Missstände im Heim zu lenken, hätte es nicht dieses Aufwandes bedurft. Es musste einfach mehr dahinterstecken.
    Klar war, dass alle in diesen Fall verwickelten Personen im Sinne Lokis handelten. Alle folgten seinem Drehbuch, das Stück für Stück in der Zeitung als Fortsetzungsroman veröffentlicht wurde. Gedankenverloren zog Marion ihr Notizbuch hervor. Der einzige Eintrag zu diesem Fall stammte vom 16. April, jenem Tag, als sie zum ersten Mal mit Max Dreiklang gesprochen hatte. »Gefährlich wie Hyde« stand da. Marion strich »Hyde« und schrieb »Loki« darüber. Loki der Gestaltenwandler, der Meister der Intrige. Loki ging es um Macht, er wollte andere beherrschen, manipulieren. Marion nickte. Genau das war es: Manipulation. Es ging darum, andere zu beherrschen, über das Schicksal anderer zu bestimmen.
    Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie den Fall nur lösen konnte, wenn sie dem Drehbuch nicht folgte.
    Es musste ihr gelingen, sich aus ihrer Rolle zu befreien und eigenständig zu handeln. Nur so konnte sie Loki aus der Reserve locken. Wenn sie die Handlung an sich riss, musste er reagieren, weil seine Machenschaften sonst den Sinn verloren. Am naheliegendsten war es deshalb, sich nicht mehr seinem Diktat zu beugen, seine Forderungen nicht mehr zu erfüllen. Marion war sich des großen Risikos bewusst. Konnte sie das verantworten? Eigentlich eine müßige Frage, denn morgen schon hatte sie einen neuen Vorgesetzten, und der hatte dann zu entscheiden. Daher musste sie den Neuen von ihrer recht abenteuerlichen Theorie überzeugen. Doch die Chance, dass er darauf einging, tendierte, realistisch gesehen, gegen null. Nur aufgrund ihrer Annahme würde er niemals Leib und Leben des Entführten gefährden.
    Nachdenklich nahm sie den Bericht der Kriminaltechnik zur Hand. Der Sachverständige der Fachgruppe Urkunden, Schrift und Drucktechnik bestätigte die Echtheit der Unterlagen über Arndt, seine Eltern und seinen Freund Johannes Berg. Schon mit dreizehn Jahren hatte Arndt also all seine Vertrauten verloren. Erst die Eltern, dann den Freund. Was mochte da in einem Kind vorgehen? Kam ihm da das Grundvertrauen in das Gute abhanden? Wurde hier schon Arndts Lebensweg festgelegt? Sein Versagen im Beruf, sein Scheitern in der Gesellschaft und das Abrutschen in die Obdachlosigkeit? War er deshalb auf die schiefe Bahn geraten? Hatten ihn die damaligen Ereignisse zu dem gemacht, was er heute war?
    Mit Sicherheit, und deshalb lag der Schlüssel zur Lösung dieses Falls eindeutig in Arndts Vergangenheit.
    Was Marion fehlte, war Zeit. Die Ereignisse überschlugen sich und ließen sie kaum Luft holen, Beschlossenes wurde über den Haufen geworfen. Bisher war sie nicht dazu gekommen, sich, wie mit Schorten schon besprochen, abermals mit Arndts Kindheit und der Geschichte des Heims

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