Fingermanns Rache
Arndt.«
»Wie dem auch sei. Gefreut haben Sie sich dennoch, nicht wahr?«
»Den Tod Bakkers habe ich nie gewollt.«
»So?«
»Ich bin Polizistin. Ich glaube an den Rechtsstaat und nicht an Selbstjustiz. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was man denkt, und dem, wie man handelt.«
»Die Übergänge sind fließend. Wenn sich die Möglichkeit bietet, wenn alles zusammenkommt, dann wird der Moralist zum Täter. Manchmal genügt schon ein Wort.«
»Sie irren sich. Die Menschen sind nicht so. Aber ich will mit einem Verbrecher nicht darüber diskutieren. Mich interessieren Ihre bizarren Ansichten nicht.«
Die Blicke der beiden trafen sich. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit schaute Arndt nicht weg. Marion versuchte, in seinen wässrigen Augen zu lesen. Was bewegte diesen Menschen, was trieb ihn an? Arndt lächelte.
»Sie sollten mich jetzt verhaften.«
»Sie wissen genau, dass ich keine Beweise habe. Die versuchte Vergewaltigung ist nur uns beiden bekannt, und dieses Gespräch wird nicht aufgezeichnet. Deshalb muss ich erst die Nachricht finden, die Sie an Ihren Komplizen geschickt haben.«
»Stimmt. Schlaues Kind. Aber Sie haben jetzt ein persönliches Problem. Im Grunde genommen wollen Sie doch gar nicht, dass jemand von gestern Abend erfährt. Wenn Sie den Beweis, den Sie suchen, jetzt in der Hand hätten, was würden Sie tun? Die Ehre und die Karriere stehen auf dem Spiel. Da kann man einen Mörder schon laufen lassen.«
»Ich werde Sie nicht laufen lassen. Ich kriege Sie garantiert, auch ohne diesen Hinweis. Sie haben zu viele Spuren gelegt, zu viel Aufwand betrieben. Der Mord an Bakker war von langer Hand geplant. Es gibt Mittäter und Mitwisser. Über kurz oder lang wird alles auffliegen.«
»Das wird es. Aber bis dahin bleibt noch viel Zeit. Sie sollten vielleicht mal ausspannen. Fahren Sie doch mal ans Meer. Das lieben Sie doch so sehr.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Marion konsterniert.
»Schön, dass ich Sie immer noch überraschen kann.« Arndt zog seine Flöte aus der Tasche. »Aber jetzt möchte ich noch einmal an unseren dicken Freund Bakker erinnern. Toten soll man bekanntlich nichts nachtragen.« Unvermittelt begann er zu spielen. Sein stampfender Fuß gab den Rhythmus vor. Irgendwann legte er die Flöte beiseite und trommelte auf den Tisch. Dazu sang er ein Lied, das mit der Zeile »Don’t want to be a fat man« begann.
Marion ließ sich nicht anmerken, wie sehr Arndt sie traf. Stattdessen beobachtete sie ihn, wie er sich in der Musik zu verlieren schien. Er trommelte wie ein Besessener. Schweiß stand auf seiner Stirn, die Augen hatte er geschlossen. Der zur Wache eingeteilte Polizist warf einen Blick durch die Tür. Marion gab ihm zu verstehen, dass alles in Ordnung sei, woraufhin er sich wieder zurückzog. Aufmerksam wartete sie das Ende des Liedes ab. Als Arndt aufschaute, lächelte er amüsiert. »Jetzt haben Sie mich überrascht, Frau Tesic. Ich dachte, Sie laufen beleidigt weg.«
»Nicht jeder spielt nach Ihren Regeln, Arndt.«
*
Zum ersten Mal seit gestern Abend war Marion wieder in ihrem Büro. Sofort fielen ihr die Kampfspuren der letzten Nacht auf. Backers Blut sprenkelte den Boden. Mit einem feuchten Geschirrtuch wischte sie sie auf. Das angetrocknete Blut verschmierte. Selbst in diesem Zustand war Bakker noch klebrig und abstoßend. Das Geschirrtuch warf sie weg, dann setzte sie sich an ihren Schreibtisch und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Gerade eben hatte Arndt gestanden, doch sie konnte ihm nichts nachweisen. Das Gespräch würde er leugnen, und die Videoaufzeichnung von Bakkers Tod diente allein ihr als Beweis – es war zum Verzweifeln.
Dennoch konnte sie nicht weitermachen wie bisher, es galt, Maßnahmen zu treffen. Als Erstes vergewisserte sie sich, ob Arndts Überwachung noch gewährleistet war. Die verantwortlichen Beamten wies sie abermals auf die Bedeutung ihrer Aufgabe hin. Als Zweites begann sie die bisherigen Ermittlungen aufzuarbeiten. Es musste doch etwas Konkretes gegen Arndt zu finden sein.
Auf ihrem Schreibtisch lagen zwei Berichte. Einer von der Kripo Anklam und einer von der Kriminaltechnik. Den aus Anklam las sie zuerst. Die dortige Spurensicherung hatte das ehemalige Kinderheim Die Brücke in Augenschein genommen und die Werkstatt eingehend überprüft. Die Kollegen waren auf eine Menge Spuren und Fingerabdrücke gestoßen, die natürlich alle katalogisiert und mit der Datenbank verglichen wurden. Das Ergebnis war negativ.
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